Der Doktor im Zwielicht

Schon wieder ist ein Doktortitel weg. Diese Woche traf es den Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis aus dem saarländischen Perl, weil er nicht sauber wissenschaftlich gearbeitet, sprich, fremdes Gedankengut als eigenes ausgegeben hat.

Seit der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg Ende Februar/Anfang März aus demselben Grund nicht nur den Doktorgrad, sondern auch sein Amt verloren hat, geraten immer mehr promovierte Politiker ins Visier von Plagiatsjägern. Aus deren jüngsten Enthüllungen aber zu schließen, dass Betrüger auffallend oft Politiker seien, wie es Hamburgs Uni-Präsident Dieter Lenzen in einem Interview mit der Zeitung Die Welt unterstellt, ist dann doch ein bisschen abenteuerlich. Für eine Dr. Lieschen Müller interessiert sich die Öffentlichkeit nun mal nicht, egal ob sie sich den Titel redlich erworben oder ergaunert hat. Universitäten haben ja nicht erst seit der Causa Guttenberg die Möglichkeit, akademische Grade auch wieder abzuerkennen, wenn sich ihre Unrechtmäßigkeit herausstellt. Dass sich in den letzten Monaten die Fälle gehäuft haben, ist auf Recherchemethoden jener zum Teil anonym arbeitenden Online-Aktivisten zurückzuführen, die via Internet ganz gezielt Arbeiten von Prominenten auf Plagiate abklopfen. Das riecht zwar streng nach Denunziantentum, weil die ausgewählten Personen erst einmal unter Generalverdacht gestellt werden. Der eigentliche Skandal ist aber doch, wie oft diese Internet-Spürhunde fündig werden. Wissenschaft genießt zu Recht hohes gesellschaftliches Ansehen, denn sie schenkt der Welt neue Gedanken, neue Ideen, neue Einsichten, neue Lösungswege. Wer hier um eines Titels willen mogelt, untergräbt nicht nur den Wert von Erfindergeist und eigener schöpferischer Arbeit. Er rückt Forschung und die, die ihr dienen, insgesamt ins Zwielicht. Unbestritten macht so ein kleines Dr. vor dem Namen aus einem Menschen gleich eine Respektsperson. Deswegen sind die zwei Buchstaben, ohne die manche Karriere gar nicht möglich wäre, auch so begehrt. Wer beispielsweise im Internet unter "Doktortitel" googelt, findet zahlreiche Angebote, wie man bar lästiger Anstrengung ,,völlig legal verschiedene Doktortitel erlangen", will heißen: kaufen kann. Ebenso aufschlussreich ist auch das doktorandenforum.de, unter dessen Namen ich eigentlich eine wissenschaftliche Diskussionsplattform erwartet habe. Stattdessen erfahre ich dort in einer Art akademischem Knigge, wie man den Titel mit Stil (!) führt. Der Autor rät überwiegend zu vornehmer Zurückhaltung, um zugleich launig darüber zu plaudern, dass es eine Reihe Promovierter gebe, "die ihren Titel am liebsten bei Arztbesuchen, Reservierungen und ähnlichen Lästigkeiten benutzen, in der oft erfüllten Hoffnung, schneller, besser und respektvoller bedient zu werden". Erschwindelt, gekauft oder eingesetzt, um sich höchst banale persönliche Vorteile zu verschaffen - ausgerechnet die geben den Doktor der Beliebigkeit preis, die doch so gerne damit glänzen wollen. Isabell Funk, Chefredakteurin

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