Der Preis der Bequemlichkeit

Trier · Ein Viertel aller Beschäftigten arbeitet regelmäßig auch am Wochenende. Zudem kommt mittlerweile jeder Achte auf 48 Arbeitsstunden wöchentlich.

Das geht aus einer gerade veröffentlichten Studie des Statistischen Bundesamtes hervor.
Auf der anderen Seite ist der Krankenstand so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr. Immer weiter auf dem Vormarsch sind psychische Erkrankungen. Alleine in diesem Bereich sind laut neuestem DAK-Gesundheitsreport die Fehltage seit 2006 um über 60 Prozent gestiegen.
Das wäre doch eine Steilvorlage für die Gewerkschaften, die noch in den 80er Jahren mit dem Slogan "samstags gehört Vati mir" die Fünf-Tage-Woche erstritten hatten. Aber die Kritik hält sich in Grenzen. Auf jeden Fall ist der Aufschrei nicht so groß, wie man hätte erwarten können. Und das hat gute Gründe. Denn wir sind längst in einer Kommunikations- und Dienstleistungsgesellschaft angekommen, die die Arbeitswelt grundlegend verändert hat und ein immer höheres Maß an Anpassungsfähigkeit, Schnelligkeit und Einsatzbereitschaft fordert.
Das freie Wochenende für alle hatte sowieso immer nur Symbolcharakter. In vielen Berufsgruppen ist die Rundum-Verfügbarkeit schiere Notwendigkeit oder wird zumindest gesellschaftlich erwartet. In der Pflege und der Medizin beispielsweise, bei den Sicherheitskräften und Verkehrsbetrieben, in der Landwirtschaft, der Hotellerie und Gastronomie, bei Politik und Medien, vielfach auch in der industriellen Produktion. Und zu unser aller Bequemlichkeit haben sich weitere Branchen hinzugesellt.
Der Samstag ist unser Haupteinkaufstag. Auch auf die frischen Brötchen am Sonntagmorgen wollen wir nicht mehr verzichten. Wir sind es gewöhnt, rund um die Uhr tanken zu können, bis 20, 21, gelegentlich auch 22 Uhr noch schnell im Supermarkt vorbeizuschauen und lassen uns gerne zu allen möglichen Zeiten von der stetig wachsenden Freizeitindustrie bespaßen. Wir fordern Nacht- und Wochenendarbeit an großen Straßenbaustellen, damit wir nicht so lange im Stau stehen müssen und so weiter und so weiter.
Dass wir all diese Ansprüche, die wir an andere haben, aber auch selber erfüllen müssen, gepaart mit einem immer aufwendigeren, immer voller gepackten Freizeitprogramm, ihren Preis haben, darf uns nun wirklich nicht wundern. Ruhe ist eine Vokabel, die so gar nicht mehr zu unserer Alles-und-das-bitte-sofort!-Mentalität passt.
"Und eines Tages wird sich die Menschheit für die großen Werke, die sie zu ihrer Erleichterung geschaffen hat, aufgeopfert haben", hat der österreichische Schriftsteller und Zeitkritiker, Karl Kraus, einmal prognostiziert. Vor ziemlich genau 100 Jahren. Isabell Funk, Chefredakteurin

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