Die Facebookratie ist kein Teufelswerk

Seit dem 11. Februar gibt es einen neuen Begriff, ein Leser der „Zeit“ hat ihn erfunden: „Facebookratie“. Gemeint ist damit die noch recht neue Entwicklung, dass soziale Netzwerke im Internet Einfluss auf die Politik bekommen.

Ex-Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg war der erste, der dies zu spüren bekam. Die Plagiatsenthüllungen von Internetnutzern brachten ihn zu Fall. Facebookratie: ein Trend, der in Trier ausnahmsweise mal früh angekommen ist. Denn auch hier hat ein soziales Interne-Netzwerk - die Facebook-Gruppe zur Rettung der Aral-Tankstelle - eine politische Entscheidung maßgeblich beeinflusst.

Vielen Stadtratsmitgliedern ist diese Entwicklung noch fremd, einigen Grünen sogar regelrecht zuwider. Bei den 4500 Unterstützern der Gruppe seien viele gar nicht aus Trier gewesen, hieß es, im Internet habe man schnell mal "gefällt mir" geklickt, ohne sich mit Argumenten auseinanderzusetzen und überhaupt: nur weil die Facebook-Gruppe Stimmung gemacht habe, könne man ja nicht gleich eine Ratsentscheidung über den Haufen werfen.

Rückblick: 1986, der Viehmarkt soll umgestaltet werden mit Tiefgarage und Sparkassengebäude. Eine Bürgerinitiative wird gegründet, sie sammelt 6100 Unterschriften für das damals recht neue Mittel des "Einwohnerantrags". Sie will, dass der Stadtrat sich mit ihrem Alternativplan - viel Grün auf dem Viehmarkt - beschäftigt. Vielen Ratsmitgliedern ist das nicht geheuer, sind doch bei den Unterschriftenlisten auch Nicht-Trierer vertreten, und überhaupt: Warum sollen Bürger im Stadtrat reden dürfen, wo es doch gewählte Stadtratsmitglieder gibt?

Mitte der 90er: Der Domfreihof wird neu geplant, die alten Platanen sollen durch neue ersetzt werden. Wieder gründet sich eine Bürgerinitiative, sammelt 5000 Unterschriften mit dem Ziel, den Stadtrat zur Änderung eines Beschlusses zu bewegen.

Bei beiden Ereignissen an vorderster Front: die Grünen. Damals Speerspitze der Bürgerbewegung, heute Bremsklötze? Erstaunlich. Denn eigentlich sind die Initiativen und die Facebook-Gruppe vergleichbar. Sie sind Foren, in denen Bürger sich gezielt für ein politisches Projekt engagieren, die mit etablierten Formen der Bürgerbeteiligung vorher nicht erreicht wurden.

Die Sozialen Netzwerke sind kein Teufelswerk, sondern zentrale Kommunikationsorte für junge Leute. Sie haben genau den selben Respekt verdient wie andere Kommunikationsmittel.

Klar ist aber auch: Demokratisch gewählt ist der Stadtrat. Und der sollte Entscheidungen nach Abwägung von Argumenten treffen, und nicht danach, welche Interessengruppe am lautesten schreit. Genau dort ist die Grenze der Facebookratie.

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