Meinung Die SPD-Mitgliederbefragung: Ist das noch Demokratie?

Viele ärgern sich, dass nun 460 000 SPD-Mitglieder über die große Koalition und die Zukunft Deutschlands entscheiden. Zwei Standpunkte.

Meinung: Die SPD-Mitgliederbefragung: Ist das noch Demokratie?
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Pro Mitgliederentscheid:

Viele ärgern sich, dass nun 460 000 SPD-Mitglieder über die Zukunft Deutschlands entscheiden. Dass sie zwei Mal abstimmen dürfen, während der normale Bürger nur einmal zur Wahl gehen kann. Das ist eine Verdrehung der Tatsachen. Die Sozialdemokraten entscheiden mitnichten über die politischen Machtverhältnisse in Deutschland, sondern nur darüber, was sie selbst wollen. Über die Machtverteilung haben am 24. September 2017 die Bürger entschieden. Sie haben nur zwei Regierungsmöglichkeiten zugelassen: Jamaika oder Groko. Beide zwingen die beteiligten Parteien nun zu internen Entscheidungen.

Wer darüber empört ist, verkennt entweder den grundsätzlichen Charakter unseres politischen Systems – oder lehnt dieses System ab. Wir leben nicht in einer Direktwahldemokratie, dazu ist Deutschland zu groß. Sondern in einer Parteiendemokratie. Nicht ohne Grund hat das Verfassungsgericht Beschwerden gegen die SPD-Urwahl erst gar nicht zur Befassung angenommen. So fern sind sie von der Rechtslage. Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit. So heißt es im Grundgesetz. Jeder kann dort Mitglied werden und mit abstimmen. In allen Parteien auch Ausländer. Sogar in der AfD.

Die Entscheidung, eine Koalition einzugehen oder nicht, ist eine zentrale politische Frage für jede Partei. Man könnte sie auch einem Parteitag überlassen, wie die CDU das macht. Oder dem Vorstand, wie bei der CSU. Nur ist das weniger repräsentativ als eine Befragung aller Mitglieder. Den Beschluss, Jamaika nicht zu machen, traf übrigens ein einziger Mann: FDP-Chef Christian Lindner. Im Einvernehmen mit seinem Vorstand zwar, aber ohne die Mitglieder zu fragen. Das war sicher nicht besser, als das, was jetzt bei den Sozialdemokraten stattfindet.

Werner Kolhoff

Contra Mitgliederentscheid:

„Bätschi“ hat Andrea Nahles im Dezember auf dem SPD-Parteitag der Union entgegengeschleudert. „Bätschi“, ohne die Genossen geht nichts. Wohl wahr. Wenn die Mitglieder der SPD nicht Ja zur Groko sagen, geht auch weiterhin nicht viel voran in diesem Land. Rund 460 000 rote Parteigänger entscheiden ab kommender Woche, ob die Bundesrepublik endlich eine voll handlungsfähige Regierung bekommt. „Bätschi“, liebe Wähler, eure Stimme zählt nicht mehr. Nur noch die der Sozialdemokraten. Das darf nicht sein.

Prinzipiell ist gegen mehr innerparteiliche Beteiligung nichts einzuwenden. Aber bitteschön nicht so, dass das Ergebnis einer Bundestagswahl ad absurdum geführt wird. Nichts anderes bedeutet die SPD-Mitgliederbefragung. Rund 44 Millionen Wähler haben im September votiert, und herausgekommen ist dabei auch die Möglichkeit einer Groko. In einer repräsentativen Demokratie ist es nun Aufgabe der gewählten Politiker und Abgeordneten, diese Mehrheit zu bilden und sie funktionsfähig zu gestalten. Aber es ist nicht der Job eines Genossen, nach einer Wahl darüber zu befinden, wie die nächste Regierung aussehen soll.

Nein, die SPD gönnt sich und ihren Mitgliedern eine zweite, kleine Bundestagswahl. Das ist nichts anderes als praktizierte Zweiklassen-Demokratie, sogar eine Entmündigung jener Bürger, die kein rotes Parteibuch besitzen. Und das allein deshalb, weil einer chaotischen SPD-Führung Autorität und Mumm abhandengekommen sind, das, was sie für richtig hält, auch durchzusetzen. Wer wirklich mehr Beteiligung will, der müsste konsequenterweise nun nach einer Volksbefragung darüber rufen, ob der Koalitionsvertrag etwas taugt. Das will aber niemand – weil es genauso absurd wäre.

Hagen Strauss

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