Ein Lebensrisiko mehr - Meinungsbeitrag zu den Folgen der Terroranschläge in Paris

Trier · Dieser Tage fragten mich Freunde, ob ich demnächst zum Adventskaffee kommen wolle. Zum Adventskaffee????? Ich – und mit mir viele andere – bin zurzeit gefangen in Gedanken an den Terror und seine Folgen. Die Informationen überschlagen sich.

Die Attentate in Paris und die fast zeitgleiche Gewissheit, dass der russische Urlaubsflieger über dem Sinai durch eine Bombe des sogenannten Islamischen Staats zum Absturz gebracht wurde, haben global zu so zahlreichen Aktionen auf polizeilicher, militärischer, politischer, diplomatischer, geheimdienstlicher aber auch ziviler Ebene geführt, dass man die Ereignisse kaum noch sortieren kann. Dabei wissen wir, dass hinter den Kulissen noch viel mehr passiert.

Trotzdem ist der dschihadistische Hass ja nicht, wie seinerzeit in New York am 11. September 2001, plötzlich über Europa hereingebrochen. Er ist in ihn hineingesickert und aus ihm herausgekrochen: Madrid (2004), London (2005), Paris im Januar dieses Jahres und vergangene Woche wieder. In Deutschland wurde 2007 ein geplantes Attentat der sogenannten Sauerland-Gruppe in letzter Minute verhindert. Die Terrormilizen haben sich mittlerweile mit dem Ziel, möglichst viele Andersdenkende zu morden und westliche Lebenskultur auszurotten, professionalisiert und bedienen sich einer wachsenden Zahl europäischer Fanatiker, die als besonders brutal und ,,opferbereit" gelten.

Die Kommentierungen in diesen Tagen reichen von ,,Nach Paris ist nichts mehr so, wie es war" bis zu einem trotzigen ,,Jetzt erst recht".

Beide Haltungen unterstreichen die Verstörung. Frankreich im Ausnahmezustand, Europas Salafisten-Zentrale Belgien überfordert. Viele EU-Staaten weiten ihre Sicherheitsrechte aus. Europäisch und international zeichnen sich im Anti-Terror-Kampf Allianzen ab, die vor dem schwarzen Freitag noch nicht denkbar waren. Beispielsweise mit Russlands Präsident Putin, dessen völkerrechtswidrige Ukraine-Politik zu einem Bruch mit der EU und den USA führten.

Da sind hierzulande abgesagte Fußballspiele, eine größere Polizeipräsenz bei Massenveranstaltungen, die Diskussion um Bundeswehreinätze im Innern, eine ins Leere gelaufene Razzia oder zynische Trittbrettfahrer, die Bombenalarm auslösen, ja tatsächlich noch harmlosere Abweichungen von der Normalität.

Politiker und Behörden warnen zwar vor einer hohen Anschlagsgefahr, versuchen aber gleichzeitig, die Bevölkerung mit Hinweis auf ausreichende Sicherheitsstandards und besondere Wachsamkeit zu beruhigen. Was sollen sie sonst auch sagen?

Angstforscher bezeichnen den Terror mittlerweile als eines von vielen Lebensrisiken auch in der freien Welt. Ein Risiko mehr, an das wir uns gewöhnten. Und die allgemeine Verunsicherung sei keine dauerhafte. Schließlich sei die Wahrscheinlichkeit, durch einen Verkehrsunfall ums Leben zu kommen, ungleich höher.

Entspannt mich das gerade? Nein. Aber vielleicht komme ich beim Adventskaffee ja mal auf andere Gedanken. Will heißen: Es wäre doch töricht, würden wir allein aus der Furcht vor neuen Gefahren unsere Lebensbezüge und -entwürfe freiwillig kappen. Sagt der Verstand. Und das Gefühl? Auch. Nur etwas kleinlauter.

i.funk@volksfreund.de Mehr zum Thema

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