Ein Rohrkrepierer

Je länger die Debatte dauert, desto absurder wird sie. Das Betreuungsgeld, vor dessen Einführung in seltener Eintracht Arbeitgeber und Gewerkschaften, Wissenschaft und Sozialverbände, die Opposition, aber auch eine immer größer werdende Gruppe im Regierungslager warnen, soll eingeführt werden, weil einer es will: CSU-Chef Horst Seehofer braucht angesichts der Bayernwahl im nächsten Jahr dringend ein Geschenk für seine Klientel.

Dass eine solche Subvention nach einhelliger Expertenmeinung frühkindliche Bildung blockiert und zudem nicht finanzierbar ist, will offenbar nicht bis in den Süden der Republik durchdringen. Da zählen keine Argumente, da geht es um Verabredungen im Koalitionsvertrag, auf deren Einhaltung Seehofer pocht. Basta.

Nun ist Verlässlichkeit in der Politik sicher ein hohes Gut. Aber manche Absichtserklärungen überleben sich schneller, als sie umgesetzt werden können. Weil sich Situationen verändern oder weil sich Ideen im Nachhinein als falsch erweisen. Die FDP beispielsweise kann mit ihren unerfüllten Forderungen nach Steuersenkungen ein Liedchen davon singen. Aber Seehofer hat sich mit seiner Drohung, die Koalition platzen zu lassen, wenn das Betreuungsgeld nicht kommt, schon so weit vorgewagt, dass er sich selbst jeden Ausweg versperrt hat. Dabei kann er sich weder auf eine breite Unterstützung in der Gesamtbevölkerung noch im Unionslager berufen. Über 70 Prozent bzw. 64 Prozent der CDU/CSU-Anhänger lehnen das Betreuungsgeld ab.

Wer so klare Mehrheiten missachtet und sich zudem der scharfen Kritik führender Wissenschaftler verschließt, wie sie gerade im nationalen Bildungsbericht veröffentlicht wurde, dem muss das Wasser bis zum Halse stehen. Sollte die Koalition, die ja ansonsten nicht für ihre Einmütigkeit bekannt ist, das Betreuungsgeld wider besseres Wissen durchwinken, setzte sie sich nicht nur dem berechtigten Vorwurf von Kungelei und Machtmissbrauch aus. Sie würde auch einen hohen bürokratischen Aufwand betreiben müssen, um eine Maßnahme umzusetzen, die vermutlich schon nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr wieder rückgängig gemacht wird.

Die Opposition jedenfalls hat angekündigt, das Projekt im Falle anderer Koalitionsoptionen sofort wieder zu stoppen. Da aus heutiger Sicht nicht mehr mit einer schwarz-gelben Regierung zu rechnen ist, ist das Betreuungsgeld schon jetzt ein Rohrkrepierer.

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