Erschöpfte Revoluzzer

Die Wähler laufen ihr noch in Scharen zu. Aber wie aufreibend unerwarteter Erfolg sein kann, erlebt gerade die Piratenpartei. Aus dem Stand heraus ist sie binnen weniger Monate in vier Länderparlamente eingezogen und erreicht laut Umfragen auch auf Bundesebene zweistellige Zustimmungswerte. Das fordert und – laugt aus.

Der jüngste Zuwachs in der Parteienlandschaft zeigt bereits Ermüdungserscheinungen, bevor er überhaupt als politisch gestaltende, als parlamentarische Kraft wahrgenommen wird. Das war anders geplant: Der gesamte Politikbetrieb sollte umgekrempelt werden. Die Etablierten wollte man Transparenz lehren, Stil und Umgangsformen durch das eigene Vorbild verändern. Doch in dieser Woche ließen gleich drei Personalien aufhorchen. Zwei von drei Bundespressesprechern warfen das Handtuch ebenso wie der Trierer Vorsitzende Christian Hautmann. Vor wenigen Wochen erst hat sich Marina Weisband aus der Geschäftsführung der Piraten zurückgezogen. Auch die beiden ehemaligen Berliner Landeschefs Gerhard Anger und Hartmut Semken oder Ex-Schatzmeister René Brosig gaben ihre Ämter auf. Das alles wäre noch keine große Sache. Personalwechsel, ob freiwillig oder erzwungen, kommen überall vor, wenn auch vielleicht nicht gerade in dieser Anhäufung. Aufschlussreich sind vielmehr die Begründungen, die allesamt ähnlich klingen. Von Anfeindungen, Unterstellungen und Beleidigungen in den eigenen Reihen spricht beispielsweise Hautmann in unserer Zeitung. Andere Piraten berichten via Spiegel online über Mobbing, Rufmord, Machtkämpfe, Anstiftung zur Denunziation, persönliche Zerwürfnisse und dergleichen mehr.

Wenn man einmal davon absieht, dass die meisten Piraten einschließlich ihres Bundesvorsitzenden Bernd Schlömer neben Beruf oder Studium ehrenamtlich politisch arbeiten und allein diese Doppelbelastung schon zu Überforderung führen kann, befremdet dann doch die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Über den Mangel an Professionalität, der für manchen (Jung-)Wähler ja gerade den Charme der Piraten ausmacht, mag man noch eine Weile hinwegsehen. Sie sind einfach zu schnell groß geworden. Da darf man noch ein bisschen ungelenk sein. Schlimmer ist da schon der Eindruck von einer Politik nach dem Lust- und Laune-Prinzip, von der man sich schnell wieder verabschiedet, wenn's mal etwas mühsamer wird. Richtig peinlich aber ist, dass sich die Piraten offenbar selber in jenen Verhaltensmustern verheddern, zu deren Bekämpfung sie ursprünglich angetreten sind. <EA>Was für eine Enttäuschung.

Isabell Funk, Chefredakteurin

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