Kommentar EU durch Risikogebiete in neuer Bewährungsprobe

Vor den Herbstferien werden immer mehr Reiseziele in Europa zu Risikogebieten – darunter beliebte Städte und Urlaubsregionen in Frankreich, Österreich, Dänemark und Ungarn.

 Peter Stefan Herbst

Peter Stefan Herbst

Foto: SZ/Robby Lorenz

Auch für Budapest besteht seit Mitte September eine offizielle Reisewarnung. Trotzdem spielte der FC Bayern München in dieser Woche vor tausenden von Zuschauern in der ungarischen Hauptstadt. Mit dem Festhalten an der Rückkehr von Zuschauern in einem Hochrisikogebiet haben sich die Uefa und der FC Bayern ein Eigentor geschossen. Drängt sich doch der Eindruck auf, dass sich die Fußball-Millionäre nicht an Spielregeln halten müssen. Dies kann den Ruf des Vereines und die Akzeptanz der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie gefährden.

In Deutschland nehmen vor dem Hintergrund steigender Infektionszahlen Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern von Corona-Maßnahmen wieder mal an Schärfe zu. Die aktuellen Entwicklungen und deren Interpretationen befeuern auf beiden Seiten die Auseinandersetzung. Die Bandbreite reicht von Panikmache bis zur Verharmlosung. Das eine schürt Ängste, das andere befördert Leichtsinn. Beides ist verantwortungslos.

Auch ein Zitat des Berliner Virologen Christian Drosten war hier wenig hilfreich: „Die Pandemie wird jetzt erst richtig losgehen. Auch bei uns.“ Bis er diesen Satz eingeordnet und erklärt hatte, war er von unterschiedlichen Lagern schon längst instrumentalisiert und von einer neuen Erregungswelle durch das Land getragen worden.

Die Streitkultur in Deutschland hat aktuell große Defizite. Die Corona-Maßnahmen polarisieren auch die Mitte der Gesellschaft. Viele wollen nur das lesen, hören, sehen und akzeptieren, was ihrer Sicht der Dinge entspricht. Die persönliche Betroffenheit spielt dabei fast immer eine zentrale Rolle.

Dies ist in Europa und der Welt nicht anders. In der Corona-Krise setzen immer mehr Regierungen, immer rücksichtsloser ihre wirtschaftlichen oder politischen Interessen durch. Dies gilt nicht nur für die USA und China, sondern auch für einige europäische Länder[. Mal geht es um Vorteile im Wettbewerb auf den weltweiten Märkten, mal um die Verschärfung der Kontrolle der eigenen Bürger. Auch die EU braucht dringend mehr Zusammenhalt, um Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie schneller und wirkungsvoller zu koordinieren. Die Abstimmungen zur Ausweisung von Risikogebieten nach einem europaweit einheitlichen Ampelsystem sind ein ersten Schritt. Wichtige Details sind aber immer noch nicht geklärt. Dass dies so lange dauert, lässt Zweifel an der Handlungsfähigkeit der EU aufkommen.

Und so ist die Pandemie für die EU erneut eine Bewährungsprobe. Nach den überzogenen Grenzschließungen zu Beginn muss sie schnell deutlich mehr leisten, wenn sie nach dem Brexit nicht in die nächste Existenzkrise geraten will. Es geht um mehr als Reisefreiheit, Infektionsschutz und ein Fußballspiel.

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