"Extremst" verschaukelt

,,Ich bin von der Notwendigkeit moderner Infrastruktur überzeugt, weil optimale Verkehrsanbindungen Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum sind", sagte diese Woche Bahnchef Rüdiger Grube in einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten. Anlass war die bevorstehende Volksabstimmung über das milliardenschwere Bahnprojekt Stuttgart 21 am Sonntag in Baden-Württemberg.

In Trier hätte er sich einen solchen durch und durch richtigen Satz in den letzten Tagen sicher verkniffen. Denn hier streicht die Bahn ab Mitte Dezember sowohl die ICE-Verbindung nach Berlin als auch drei von sechs Fernzügen von und nach Trier und Luxemburg. Begründung: Die Verbindungen lohnen sich nicht. Das hörte sich im April noch anders an. Da war Trier für Grube noch ,,ein extremst wichtiger" Knotenpunkt für den internationalen Bahnverkehr. Also hätte man doch mit Fug und Recht davon ausgehen können, dass der Bahn und dem für Fernverbindungen zuständigen Bund die Region ,,extremst" am Herzen liegen. Einmal abgesehen davon, dass Luxemburg und Rheinland-Pfalz wenigstens eine der wegfallenden Verbindungen ersetzen, fühlen sich viele Bahnkunden mittlerweile ,,extremst" verschaukelt. Es wäre albern, Mega-Projekte und Streckenkürzungen gegeneinander aufzurechnen. Aber was ist denn aus den Blütenträumen um Stuttgart geworden? Sie haben eine Protestwelle ausgelöst, wie wir sie im vereinten Deutschland noch nicht erlebt haben. Sie haben eine Regierung weggefegt und einen Keil in die Gesellschaft getrieben. Die Rede war von einer europäischen Dimension und einer Jahrhundertchance für Stuttgart, bis sich im Schlichtungsverfahren herausstellte, dass es mit beidem nicht so weit her ist. Schon vor der Volksabstimmung haben Gegner und Befürworter klargemacht, dass sie, wie immer das Bürgervotum auch ausfallen mag, nicht klein beigeben werden. Stuttgart 21 ist längst nicht mehr Synonym für Fortschritt, sondern für unversöhnliche Standpunkte geworden. Dass auch Staatsunternehmen wie die Bahn Schwerpunkte setzen müssen und nicht mit der Gießkanne die Republik beglücken können, ist klar. Aber die Bahn hat auch den gesellschaftlichen Auftrag, ein leistungsfähiges Transportsystem für die Bevölkerung bereitzuhalten. Bereits heute ist eine längere Zugfahrt von oder nach Trier eine zutiefst umständliche und zeitraubende Angelegenheit. Und so kommt eins zum anderen. Unattraktive Angebote werden weniger genutzt, bis sie dann ganz eingestellt werden, weil sie unrentabel geworden sind. Die Region Trier ist ja gar nicht so unbescheiden, dass sie gleich nach einer Jahrhundertchance ruft. Aber sie braucht wenigstens Zeit, bis sie 2015 an ein besseres Nahverkehrsnetz angeschlossen ist. Dafür ist das Land zuständig. Und, versprochen, Herr Grube, wir protestieren nicht, wenn Sie sogar noch ein bisschen mehr in unsere In frastruktur investieren. Denn von Europa brauchen wir hier in der Großregion gar nicht mehr zu träumen. Wir leben es bereits.

Isabell Funk, Chefredakteurin

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