Glaube im Alltag Die Kunst der Muße
„Jetzt brauche ich mal wirklich acht Tage Ruhe“, sagte meine Mutter, als sie mich vor einigen Jahren in meinem Pfarrhaus besuchte. Nun, die konnte sie genießen. Das kleine Eifeldorf, in dem ich damals als Jugendpfarrer lebte, war von den großen Wogen des Weltgeschehens wohltuend unberührt, und ich selbst war in dieser Woche auch kaum zu Hause.
Zwei Tage lang hat sie die ersehnte Ruhe ausgehalten. Am Morgen des dritten Tages begann sie hektisch zu telefonieren und reiste nachmittags mit dem Hinweis auf wichtige Termine in der Frauengemeinschaft wieder ab.
Ein Trend unserer Tage: Viele Zeitgenossen klagen über ihre Arbeitslast und ihren Stress, aber man kann ihnen nichts Schlimmeres antun, als ihnen den Stress zu nehmen. Die betriebsame Hektik hat sie gepackt wie eine Sucht. Kommt sie – wie gerade auch in Zeiten der Corona-Krise – einmal zum Stillstand, gibt es regelrechte Entzugserscheinungen.
Merkwürdiger Widerspruch: Der technische Fortschritt hat dazu geführt, dass wir noch nie so viel Zeit einsparen konnten wie heute. Aber kein Mensch hat Zeit, und selbst Kinder haben dank des Ehrgeizes ihrer Eltern schon gefüllte Terminkalender.
Schlimmer noch: Wer sagt, er habe Zeit, muss am Ende noch mit dem Vorwurf rechnen, die Arbeit nicht gerade erfunden zu haben. Keine Zeit zu haben wird zum Nachweis für unsere Unentbehrlichkeit und unsere Tüchtigkeit. Wer beherrscht noch die Fähigkeit zur Muße, die ja nichts anderes meint als die Kunst, auch einmal ein paar Stunden nichts zu tun.
Manche Menschen haben sich gerade in der zurückliegenden Zeit wieder einmal den Luxus „unnötiger“ Tätigkeiten gegönnt: einen langen Spaziergang gemacht, mit der Familie zusammen gespielt oder auch mal wieder länger mit lieben Freunden telefoniert.
Jetzt beginnt wieder die Urlaubszeit. Für viele sind diese Tage der Erholung ein Höhepunkt im Jahr. Sie bieten trotz noch bestehender Einschränkungen wie keine andere Zeit die Chance, die Kunst der Muße neu zu entdecken und einzuüben. Vielleicht ist es dem ein oder anderen auch vergönnt, wieder neu zur Muße des Gebets zu finden und etwas davon hinüberzuretten in den Alltagstrott mit all seinen Anforderungen.