Glaube im Alltag

"Say Grace!", ruft mein Onkel aus den USA plötzlich beim Urlaubsfrühstück. "Grace" antwortet meine Tante, dann sagen beide "Amen" und das Frühstück beginnt.

"Was war das?", frage ich. "Haben wir von unserem Sohn. Ist das erste Tischgebet, das er seinen Kindern gerade beibringt." Kurz und knackig. Mittags ruft mein Vater lachend: "Grace" - "Grace. Amen", antworten wir im Chor. Say Grace! Die Szene ist mir seit dem Urlaub im Kopf. Was "grace" alles bedeutet: "Anmut, Huld, Liebreiz, Gnade", aber auch "Fristverlängerung" und "Verzierung". Vermutlich hat es noch mehr Bedeutungen. Wenn ich am gut gedeckten Esstisch sitze, finde ich sie alle passend. Ich muss nicht hungern. Im Gegenteil, ich darf das Leben in seiner geschmacklichen Vielfalt genießen und mit anderen teilen. Das verziert mein Leben. Natürlich weiß ich um Hungerzeiten im Leben. Nicht nur dann, wenn nichts im Kühlschrank ist, sondern auch, wenn ich mit mir lieben Menschen nicht am Tisch sitzen kann - aus welchem Grund auch immer. Ich weiß, hin und wieder fehlt die Zeit für ein liebevoll zubereitetes Essen. Ich weiß, nicht jede Tischgemeinschaft ist voller Gnade, weil ein Streit ungeklärt ist. Manchmal trage ich selbst schuld daran und manchmal meine Mitmenschen. Das ist wohl die Fülle des Lebens - mit allem, was mir schmeckt, und manches Mal eben auch nicht. Aber, es ist das von Gott geschenkte und von uns Menschen gestaltete Leben. All das an Gott zurückzubinden im Gebet hilft mir. Übrigens lässt sich das Gebet auch alleine sprechen beim ersten morgendlichen Kaffee: "Say Grace. Grace! Amen!" Geht ganz leicht - und das nicht nur an Erntedank! Pfarrerin Vanessa Kluge, Ehrang, E-Mail an kluge.ehrang@ekkt.de

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