Glaube im Alltag Das kleine bisschen mehr

Klar, irgendwann würde das Virus seine Gelegenheit finden, sich in mich einzuschleichen. Milder Verlauf? Bestimmt, auch wenn es sich für zwei Tage nicht so anfühlt. Am liebsten nur liegen, das Zimmer abgedunkelt, die Augen geschlossen.

Jörg-Walter Henrich

Jörg-Walter Henrich

Foto: TV/privat

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Die empfundene Stille währt nur kurz. Nach und nach füllt sich das Zimmer mit unzähligen Geräuschen und Stimmen. Ich höre kräftige Männerstimmen. Sie klingen von der Baustelle herüber, wo gerade ein Haus errichtet wird. Die Männer rufen sich kurze Anweisungen zu, aber auch Scherze. Ich höre sie lachen. Ihre Arbeit kostet Kraft. Doch ihre Stimmen verraten, dass sie genug davon haben. Sie schöpfen aus dem Vollen. Kraft im Überschuss. Ich bewundere sie.

Kaum schaffe ich die Treppe im Haus, können diese Männer mit ihrer Kraft nur so spielen. Sie haben mehr, als sie brauchen. So muss es sein, denke ich. Es ist genau dieses Stückchen „mehr“, dieser Überschuss, diese Kraftreserve, die die Mühe der Arbeit in Freude wandelt. Die uns auch an vollen Tagen noch Raum für Scherze und ein bisschen Blödsinn schenkt. Die uns auch in harten Zeiten lachen lässt, aus dem „mehr“ heraus. Es ist dieser Überschuss, der unserem Mut wieder aufhilft, uns manches wieder und wieder angehen lässt, uns hoffen und vertrauen lässt.

Die Scherze der Männer verstehe ich nicht, doch sie ziehen mich hinein in ihre gute Stimmung. Ist mir dieses Lebensgefühl, das sie gerade versprühen, nicht durch und durch vertraut: Aus einem Überschuss an Lebenskraft an vielen Morgen an mein Tagewerk zu gehen? Nicht kleinlich meine Zeit bemessen zu müssen. Manchmal einfach tun zu dürfen, geben, schenken, so, wie ein Mensch es gerade braucht und zu wissen, Gott legt mir an fast jedem Morgen ein bisschen mehr Kraft bei, als ich streng genommen nötige habe.

Dieses „mehr“ ist das große Plus unseres Lebens. Daraus entsteht, was uns nicht nur leben, sondern lieben lässt. Plötzlich läuten die Glocken. Es ist Mittag. Für ein paar Minuten tritt vieles andere zurück. Vielleicht auch, um diesem schönen Gedanken in uns ab und zu Raum zu geben: Wir leben von der Kraft,die über uns hinausgeht, diesem Geschenk des „mehr“. Sie ist einfach da, fast immer. Ein Wunder, ein Geheimnis, eine der vielen Spuren Gottes.

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