Die Woche im Blick Die Chance für einen Neuanfang
Wie lange hält sie noch, die große Koalition? Diese Frage stellt sich derzeit jede Woche neu. Diesmal im Blick: die Ablösung Volker Kauders. Neuer Fraktionschef der Union ist Ralph Brinkhaus, solider Arbeiter, konservativ, aber eher unbekannt.
Eindeutig: Das Ergebnis war eine Niederlage für Angela Merkel. Die Fraktion begehrt auf – allerdings, dies ist zur Einordnung wichtig, wussten die Parlamentarier eines: Brinkhaus war nicht Merkels Kandidat, aber er war und ist eben nicht der Kämpfer gegen die Regierungs-Chefin. Insofern war es eine Revolution ohne Opfer. Symbolisch bedeutsam, in der Wirkung überschaubar.
Und so ehrlich sollten wir als Journalisten sein: Die Kanzlerinnendämmerung schafft es schon seit langem in Titelzeilen, doch mittlerweile hält Merkel sich seit 13 Jahren an der Spitze. Dennoch: Merkel hat mit der CDU vor allem eine Frage zu lösen: Wie stellt man sich auf die Zeit nach ihr ein – egal, ob zum Ende der Legislaturperiode 2021 oder vorher. Muss sich die Staatenlenkerin im November noch einmal den Parteivorsitz sichern, um führen zu können? Aus meiner Sicht eindeutig nein. Souverän wäre es, wenn sie schrittweise loslässt. Warum nicht die Diskussion über den Vorsitz zulassen? Mit Kramp-Karrenbauer oder Spahn gibt es Kandidaten, die ihre Ambitionen bisher nur gezügelt zeigen durften. Oder gibt es hier ebenfalls eine Überraschung? Demokratie lebt – bei allem Wunsch nach Berechenbarkeit – vom Wechsel. Sie lebt von der Diskussion. Und sie lebt davon, dass Menschen Verantwortung auf Zeit übernehmen und teilen.
Weder CDU, noch CSU oder SPD haben gute Aussichten bei Wahlen. Eine Zweckehe ist eine Koalition immer – doch Machterhalt darf nicht ihr größter Zweck sein. Dieses Gefühl haben derzeit viele – gerade deshalb ist die angebliche Revolte in der CDU für die Partei eine Chance, um sich neu aufzustellen. Lässt Merkel dies zu? Dann schafft sie sich Zeit, um aus der Kanzlerinnendämmerung einen selbst geplanten Abgang zu machen.
Um Machtstrukturen ging es auch bei der Bischofskonferenz. Die Studie zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche zeigte Erschreckendes: Zwischen 1946 und 2014 gab es in Deutschland mindestens 3677 Menschen, die Opfer dieser sexuellen Übergriffe wurden, und mindestens 1670 Beschuldigte. Erschreckend, weil hinter jeder Zahl ein Schicksal steht: Mädchen und Jungen, deren Vertrauen missbraucht worden ist, die statt Sicherheit das Grauen erdulden mussten. Der Trierer Bischof und Missbrauchsbeauftragte Stephan Ackermann zeigte sich erschüttert –- obwohl er das Ergebnis „leider“ erwartet habe. Wie er mit Fällen vor Ort umgeht, kann er mit Blick auf das frühere bischöfliche Internat in Gerolstein beweisen. Bedauern aussprechen ist das eine, auf Opfer zugehen das andere. Mutige Männer sind gefragt – auch um die Frauen in der katholischen Kirche zu stärken. Deren Zulassung zum Priesteramt, der Wegfall des Zölibats – das wäre tatsächlich revolutionär. Auf Sicht wäre es aber ebenfalls vor allem eines: eine Chance für einen Neuanfang.
t.roth@volksfreund.de