Angezählter Supermann

Der gefürchtete Sturz ins Bodenlose ist ausgeblieben, der Verlust beider Kammern im US-Kongress. Doch zu beschönigen gibt es für Barack Obama nichts: Der Ausgang der Zwischenwahlen ist für die Demokraten und für ihn selbst eine schmerzhafte wie folgenreiche Ohrfeige.

Die Wähler im Land haben, getragen und angeführt von den populistischen Stimmungsmachern der erzkonservativen "Tea Party", die ehrgeizige Reformpolitik Obamas abgestraft und dem Supermann des Jahres 2008 klargemacht: Höhenflüge nehmen dann ein jähes Ende, wenn die Lage am Arbeitsmarkt und das Ausmaß der Staatsverschuldung vernachlässigt werden. Allzu lange hatte Obama offenbar die eskalierende Stimmung im Land nicht wahrgenommen - oder sie im Elfenbeinturm des Weißen Hauses unterschätzt.

Dass er nach acht Jahren George W. Bush ein schweres Erbe antrat, zählte dabei für viele ungeduldige Bürger nicht - oder wurde schlichtweg vergessen. Zu hoch waren die Erwartungen nach den wohlklingenden Reden des politischen Messias, und umso tiefer stürzten der Wahlsieger und seine Parteifreunde jetzt ins Tal der Tränen. Maßgeblich für die zweite Halbzeit Obamas im Weißen Haus wird nun vor allem ein Faktor sein: Gelingt es ihm, den Rechtsruck des Landes mit Kompromissangeboten auszutarieren und die konservativen Blockade-Weltmeister aus ihren Bunkern zu holen? Obama braucht die Republikaner, will er nicht als Präsident des Stillstands gebrandmarkt werden. Und die Konservativen brauchen ihn, wollen sie verantwortliche Politik betreiben und nicht nur ihren Ruf als Partei der programmatisch verarmten Neinsager zementieren. Wer zeigt sich zuerst - zum Wohle des Landes - einsichtsfähig? Die Aussagen führender Republikaner, man wolle in erster Linie eine Wiederwahl Obamas im Jahr 2012 verhindern, läßt derzeit nichts Gutes ahnen.

Während innenpolitisch nun hinter Kernprojekten Obamas wie der Klimaschutz-Gesetzgebung ein dickes Fragezeichen steht und die Wahlsieger sogar die Gesundheitsreform widerrufen wollen, bleibt dem angeschlagenen Präsidenten zumindest in der Außenpolitik etwas mehr Luft zum Atmen.

Morgen bereits beginnt eine lange Asienreise, und Obama dürfte in den kommenden zwei Jahren - so wie seine Vorgänger Bush und Clinton - mehr weltpolitische Präsenz zeigen als bisher. Bei wesentlichen Entscheidungen und Herausforderungen wie der Kriegsführung in Afghanistan, dem Umgang mit dem nach Nuklearwaffen schielenden Iran oder der Suche nach einem Nahost-Frieden hat er Freiheiten, die ihm der Kongress nicht nehmen kann. Das ist ein Trost auch für Europa, wo viele mit Sorge beobachten dürften, wie sich beim wichtigsten transatlantischen Partner die politischen Gewichte verschieben. Doch einen Fehler darf der angezählte Hoffnungsträger nicht machen: zu glauben, dass ihm die Wähler Erfolge ausserhalb der Landesgrenzen honorieren werden.

Besser als Bill Clinton hat bisher niemand das Erfolgsrezept für einen Präsidenten formuliert: "It's the economy, stupid!" - Nur die Wirtschaft zählt, Ihr Dummköpfe!

nachrichten.red@volksfreund.de

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