Barrieren schleifen kostet Geld und Zeit

Wer vor zwei, drei Jahren von Inklusion gesprochen hat, der traf - von wenigen Experten abgesehen - auf ratlose Gesichter. Inzwischen wird das Thema, wie man Menschen mit Behinderungen und Benachteiligungen in die Gesellschaft integriert, ohne sie zu ghettoisieren, auf allen Ebenen diskutiert.

Die Erkenntnis, dass es Handlungsbedarf gibt, wächst. Und das ist gut so.
Aber noch längst haben nicht alle verstanden, was für ein gewaltiges gesellschaftliches Projekt da auf uns zukommt, wenn die von Deutschland unterzeichnete UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt werden soll. Denn unsere bisherige Praxis wird in ihrer Logik umgekehrt.
Wir erwarten von Menschen, dass sie sich ihren Funktionen anpassen, dass sie sich gegebenenfalls auch verändern, um den Anforderungen gerecht zu werden, die man an sie stellt. Wer nicht passt, fliegt aus dem System. Wenn er Glück hat, landet er in einem Versorgungsnetz - wir sind schließlich Sozialstaat.
Inklusion geht andersrum: Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, sich so zu formieren, dass sich alle in ihrer Mitte aufhalten können - wenn sie wollen. Die Allgemeinheit muss sich ändern. Das geht nur, wenn viele, viele Barrieren entfernt werden - reale und solche in den Köpfen.
Über solche hehren Ziele lässt sich in Sonntagsreden leicht salbadern. Aber entscheidend ist auf\'m Platz. Zum Beispiel in den Schulen. Wenn Inklusion, also der gemeinsame Unterricht von Kindern sehr unterschiedlicher Begabung, funktionieren soll, dann braucht sie eine großzügige und qualifizierte Sach- und Personalausstattung.
Wo es genug (zusätzliche!) Förderlehrer und Integrationshelfer gibt, werden auch die Eltern nichtbehinderter Kinder merken, dass inklusiver Unterricht für ihren Nachwuchs buchstäblich förderlich sein kann. Wo aber Inklusion gestemmt werden soll in nichtbarrierefreien Schulen, von unterbesetztem und überfordertem Lehrpersonal, da wird sie auch die benachteiligten Kinder nicht weiterbringen. Dann gäbe es nur Verlierer.
Der rheinland-pfälzische Weg, den Eltern die Wahl zwischen inklusiven und "klassischen" Förder-Modellen zu lassen, ist richtig. Mit Dogmatismus schafft man keine Akzeptanz. Aber die Sache steht und fällt mit realistischen Finanzierungskonzepten. Und der absurde Verschiebebahnhof zwischen Land und Kommunen nervt. Sie gehören an einen Tisch, um ehrlich und klar auszurechnen, was eine funktionsfähige Inklusion kostet - und wer welchen Beitrag dazu leisten kann.
d.lintz@volksfreund.de

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