Clintons Rechnung geht nicht auf

Man kann es Hillary Clinton nicht verübeln, wenn sie an "Groundhog Day" denkt, den Kinofilm, in dem täglich das Murmeltier grüßt. Die Wahlsaison 2016, aus ihrer Sicht muss sie sich anfühlen wie ein bitteres Déjà-vu.

Vor acht Jahren, als sie zum ersten Mal Anlauf nahm, kam ihr mit Barack Obama ein charismatischer, rhetorisch brillanter Senkrechtstarter in die Quere. Nun ist es eine Art Anti-Obama, ein weißhaariger Senator mit Reibeisenstimme, dessen prosaische Reden kein Ende zu nehmen scheinen, der ihr den Kandidatenthron streitig macht. Bernie Sanders hat Hillary Clinton bei der Vorwahl in New Hampshire nicht nur besiegt, er hat so eindeutig gewonnen, dass es an ein neuzeitliches Waterloo denken lässt.
Die Rechnung der Favoritin, sich der Wählerschaft als Praktikerin der kleinen Schritte zu empfehlen, als Feinmechanikerin im Räderwerk der Institutionen, ist nicht aufgegangen. Ganz auf die pragmatische Mitte bedacht, hat es Clinton versäumt, eine echte, eine aufrüttelnde Botschaft zu entwickeln. Die wiederum ist von Sanders zu hören, so unrealistisch manche seiner Versprechen auch sein mögen angesichts der tiefen Parteiengräben, die den Politikbetrieb Washingtons fast zur Handlungsunfähigkeit verdammen.
Bei den Demokraten ist es der kantige Altlinke, der von der rebellischen Stimmung im Land profitiert. Während die Löhne der Mittelschichten stagnieren, während prekäre Beschäftigungsverhältnisse die soziale Verunsicherung verstärken, während der Blick auf eine unübersichtliche Welt diffuse Ängste auslöst, wächst die Lust des Souveräns, der alten Garde einen Denkzettel zu verpassen. Ein bemerkenswertes Detail aus New Hampshire: Auch unter weiblichen Wählern hatte Sanders die Nase vorn.
Dabei wäre es zu billig, wollte man den Veteranen aus Vermont in einen Topf mit Donald Trump werfen.
Gewiss, auch Sanders predigt allzu simple, in der Realität nicht durchsetzbare Rezepte; in diesem Punkt ähnelt er dem populistischen Immobilienmogul. Aber er hetzt nicht, er stempelt Immigranten nicht zu Sündenböcken, er spricht keine Sprache, die Anstand und Respekt vermissen lässt, und anders als Trump befindet er sich nicht auf einem Egotrip.
In Europa wäre der 74-Jährige ein traditioneller Sozialdemokrat. In den USA, wo der politische Nullmeridian weiter rechts verläuft, hält ihn mancher für einen Kommunisten. Küren ihn die Demokraten zu ihrem Kandidaten, können sie ihre Hoffnungen auf weitere vier Jahre im Oval Office wahrscheinlich begraben. Es sei denn, der Gegner heißt Trump.
nachrichten.red@volksfreund.de

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