Das Chaos ist in uns

Es ist der 16. Dezember, und am Nachmittag beginnt es in der Region Trier zu schneien. Das ist normal.

Denn es ist Winter. Dennoch sitzen viele Menschen vor Radiogeräten, durchforsten das Internet und warten auf das Schneechaos. Manche müssen nicht warten: Denn schon Stunden bevor die ersten Flocken fallen, beschließen Schulen kurzfristig die Kinder nach Hause zu schicken, weil Busunternehmen warnen, dass sie den Betrieb einstellen könnten. Da Eltern alarmiert werden, ihre Kinder spontan von der Schule abzuholen, was für Beruftätige nicht ganz so einfach ist, entsteht tatsächlich Chaos - ohne weiße Pracht, allein aufgrund der Angst, dass ein Problem auftauchen könnte. Das ist nicht normal. Das ist absurd. Dass es in der Zeit direkt nach der Prognose, dass Tief Petra viel Schnee bringen würde, keine Hamsterkäufe gab, ist angesichts der wachsenden Wetter-Hysterie fast überraschend.

Gewiss sollte jeder vorbereitet sein, sollte unnötige Autofahrten vermeiden und wenn, dann vorsichtig fahren und mehr Zeit einplanen. Seit Jahren breitet sich allerdings eine Haltung aus, die aus jeder Schönwetter-Periode im Sommer eine Hitzewelle und aus jeder Schneefront ein Chaos macht - und das nicht erst, wenn etwas passiert ist, sondern lange davor. Dass eine Gesellschaft, die kaum noch von der Witterung abhängig ist, hysterischer auf Wetterlagen reagiert als Menschen, deren Wohl und Wehe einst noch wirklich von Regen, Sonne und Schnee abhing, erstaunt zunächst. Einer der Gründe dafür ist sicher die Menge der verfügbaren Informationen, die früher, genauer und für mehr Menschen verfügbar sind als ehedem. Hinzu kommt, dass die Diskussion um den von Menschen gemachten Klimawandel zu einer neuen Sensibilität fürs Wetter geführt hat. Zudem empfinden viele Menschen die Welt als zunehmend unübersichtlich. Dies führt zu einem Gefühl der Verunsicherung, die rasch in Angst umschlägt. Zugleich wächst der Wunsch nach verlässlichen Prognosen. Das Wetter gehört zu den Dingen, die tatsächlich halbwegs prognostizierbar sind, was in dieser Gemengelage das Interesse erhöht, dabei allerdings schnell zu einem Teil der allgemeinen Verunsicherung wird. Mit anderen Worten: Das Chaos herrscht vor allem in uns. Da kann es helfen, sich vor Augen zu halten, dass bei gebotener Vorsicht kaum eine Wetterlage in Mitteleuropa wirklich lebensbedrohlich ist.

Aber vor allem sollten wir uns nicht nur fürchten, sondern darüber freuen, dass dieser Winter bisher viele schöne, weiße Tage brachte und nicht nur Schmuddelwetter.

l.ross@volksfreund.de

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