Das System ist falsch angelegt

Technisch ist vieles machbar. Dazu gehören auch Riesen-Lastwagen mit Längen von 25 Metern und zulässigen Gesamtgewichten von bis zu 60 Tonnen. Bei solchen Perspektiven frohlocken die Herzen von Transportunternehmern.

Auch die Riesen brauchen nur einen Fahrer und können doch pro Fuhre etwa ein Drittel mehr Fracht befördern. Die Rechenmaschinen laufen heiß, um den Mehrgewinn zu ermitteln.

Die Diskussion über Sinn oder Unsinn der Straßengiganten greift zu kurz, wenn man die technische Option einfach nur neben die bestehende Regelung mit Lastzügen von rund 19 Metern Länge und 40 Tonnen Gesamtgewicht stellt.

Wer an einem Werktag eine deutsche Autobahn benutzt, fährt an einer rollenden LKW-Wand vorbei, die sich auf dem rechten Fahrstreifen bewegt. Immer mehr Güter werden in relativ kleinen Einheiten durch ganz Europa gekarrt.

Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Industrie in den vergangenen Jahrzehnten bewusst und planmäßig einen organisatorisch komplizierten und teuren Faktor aus ihren Betrieben verbannt hat: die Lagerhaltung. Moderne Fabriken lassen notwendige Teile oder Rohstoffe "just in time" anliefern - genau zu dem Zeitpunkt, wenn sie benötigt werden. Dadurch entsteht ein mörderisches System von Zulieferströmen und Stressfaktoren für Fahrer und Spediteure. Das ist bestehende Realität.

Kämen nun Riesen-Laster hinzu, wären mit Sicherheit milliardenteure Sanierungen und Verstärkungen von ohnehin angegriffenen Fahrbahnen und Brückenkonstruktionen die Folge, abgesehen von anderen Störfaktoren, die die Überbrummis verursachen würden.

Spätestens an diesem Punkt sollte man wieder die Rechenmaschine zücken. Die Straßen-Infrastruktur ist aufgrund ihrer Finanzierung durch den Staat im ideologisch neutralen Sinn des Wortes Volkseigentum.

Und auch das Geld für Unterhaltung, Reparatur oder Erweiterungen ist volkseigen. Es wird jetzt schon bereitgestellt, damit die Wirtschaft ihre Lagerkosten sparen und sie der Allgemeinheit aufhalsen kann.

Warum sollte der Steuerzahler nochmals drauflegen, um den Betrieb einer größenwahnsinnigen Idee zu verwirklichen?

Auch unter ökologischen Aspekten sind Riesen-Lastwagen ein Fehlgriff. Und wieder kommt ein von der Allgemeinheit bezahltes System ins Spiel: die Bahn. Die hat es in den 1980er und 1990er Jahren geschafft, ein dichtes Schienennetz radikal so auszudünnen, dass dem LKW-Verkehr quasi ein roter Teppich gelegt wurde.

Jetzt das Heil in immer größeren Autos zu suchen, um Warenströme zu bewältigen, ist der falsche Weg. Massengüter gehören ohnehin aufs Schiff oder auf die Schiene. Die Bahn könnte manchen Firmenanschluss rekonstruieren, der einst in blinder Abrisswut entfernt worden ist. Dass das wirtschaftlich funktionieren kann, beweisen kleine Privatbahnen in der ganzen Republik.

Auch "just in time" kann per Zug funktionieren. Ein Autobauer in Deutschland beweist es, denn jeden Tag rollt ein Regelzug durch Trier - auf dem Weg vom Werk Köln nach Saarlouis oder umgekehrt. Man muss es nur so wollen.

e.kullick@volksfreund.de

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