Der Fall Merkel

Erika Steinbach wird gewusst haben, dass sie nach all den Debatten um ihre Person keine Chance mehr haben würde, von der Bundesregierung in den Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibung entsandt zu werden.

Dafür ist sie lange genug im politischen Geschäft. Die Ehrenerklärung der CDU-Spitze von Montag für die umstrittene Vertriebenen-Präsidentin hat ihr den vorläufigen Rückzug ermöglicht. Verlesen wurde das Papier aber von Generalsekretär Ronald Pofalla, kein Wort dazu von der CDU-Vorsitzenden und Kanzlerin. Auch deshalb ist der Fall Erika Steinbach inzwischen ein Fall Angela Merkel.

Selbst gestern lobte nur Pofalla "die menschliche Größe und politische Weitsicht" der Verbandspräsidentin.

Nun kann man mit Blick auf diese Charakterisierung auch anderer Meinung sein. Insbesondere dann, wenn man sich erinnert, dass Steinbach nach der Wiedervereinigung gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Grenze gestimmt hat. Wahr ist aber auch: Der Begriff der Versöhnung mit Polen gehört schon lange zum Sprachgebrauch der Präsidentin und auch der meisten Vertriebenen; Steinbach hat den Verband nach langen Jahren der revanchistischen Starre modernisiert. Das ist ihr Verdienst.

Trotzdem ist sie ein rotes Tuch für die Polen geblieben. Den Nachbarn treibt auch 60 Jahre nach Kriegsende die Sorge um, dass sich die Täter zu Opfern stilisieren. Ehrlicherweise muss man auch sagen, dass diese Angst in Polen innenpolitisch durchaus geschürt und ausgenutzt wird. Dass Merkel die Beziehungen nicht unnötig belasten will, ist verständlich. Aber die Kanzlerin hat das Zentrum gegen Vertreibung 2005 zum Plan der Großen Koalition gemacht und mit Erfolg um Einwilligung der polnischen Seite geworben. Also wäre es auch an ihr gewesen, frühzeitig die Frage einer Nominierung Steinbachs für den Stiftungsrat mit den Vertriebenen zu klären. Sie hat es nicht getan, obwohl ihr die Folgen bewusst sein mussten. Ein schwerer Fehler.

Stattdessen hat Merkel über Monate hinweg die Angelegenheit einfach wabern lassen, in der Hoffnung, sie würde sich von allein lösen. Wie vieles andere auch. Das ist jetzt zwar passiert - aber mit welchen Kollateralschäden! In Polen ist das Misstrauen gegenüber den Deutschen nun wieder geweckt. Und innerparteilich hat Merkel durch ihr Vorgehen einmal mehr bewiesen, wie wenig sie mit den Konservativen in der Union verbindet. Viele in ihrer Partei haben gehofft, dass sie wenigstens diesmal Farbe bekennt und Steinbach gegen die Angriffe des Koalitionspartners und des Auslands in Schutz nehmen würde. Doch Fehlanzeige. Merkel ist mal wieder ihrem Prinzip der Zögerlichkeit treu geblieben. Allein, um weiter über den täglichen Krisen zu schweben.

nachrichten.red@volksfreund.de

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