Der Reform-Trommler

Präsident, das ist in Deutschland eine rein repräsentative Funktion. Es ist deshalb zu fragen, was die gestrige Berliner Rede Horst Köhlers sollte. Das gilt jedenfalls für den Teil, in dem er konkrete Reformschritte forderte.

Das war eine Standpauke für die Politik, die hier zu wenig Elan gezeigt hat. Praktisch jeder kann jeden seiner Sätze unterschreiben. Das Ziel Vollbeschäftigung, größere Anstrengungen in der Bildung, Steuerentlastungen, Kontrolle der Finanzmärkte. Horst Köhler redete wie jemand, der von ganz oben herab auf den Politikbetrieb schaut, seine vielen Unzulänglichkeiten sieht und sagt: Verdammt noch mal, das kann doch alles nicht so schwierig sein. Ist es aber.Wäre Köhler US-Präsident, also ein Mann mit Handlungsbefugnissen, dann klänge seine Rede wie Barack Obamas "Yes, we can". Dann könnten wir hoffen, dass einer kommt und all die gordischen Knoten durchschlägt. Er ist aber nicht US-Präsident. So drängt sich ein anderer Vergleich auf, der zu Günter Grass' Figur Oskar Matzerath, der alles sieht und weiß und mit seiner Blechtrommel der Welt die unangenehmen Wahrheiten verkündet.

Brauchen wir so jemanden als Bundespräsident? Ja, wegen des zweiten Teils seiner Rede, in dem er sich mit der Frage beschäftigte, warum die Politik so schwerfällig ist und die Bürger ihrer überdrüssig sind. Denn nicht die Zieldefinition ist das Problem in Deutschland. Das Problem ist, diese Ziele auch politisch umzusetzen im Geflecht von Föderalismus, permanenten Wahlkämpfen, Parteiblockaden und Lobbyinteressen. Diese Demokratie ist in über 50 Jahren gewachsen und inzwischen an vielen Stellen verkrustet. Das beste Beispiel dafür ist die Große Koalition. Die aktive Politikergeneration ist an den Strukturen nicht schuld. Aber sie könnte sie verändern. Von einer längeren Wahlperiode über die Bündelung von Landtagswahlterminen bis zur klareren Abgrenzung zwischen Bundesrat und Bundestag.

Viele Politiker werden sich jetzt auch über Horst Köhler als Besserwisser ärgern und sich seine Wiederwahl noch mal überlegen, weil er sie so tumb aussehen lässt. Sie sollten aber die Rede als Chance begreifen und sich, beginnend mit der Föderalismusreform II, entschlossener an Reformen des politischen Systems in Deutschland wagen. Und das heißt: Macht zugunsten von Transparenz und Effizienz des Entscheidungsprozesses abgeben. Denn es ist, wie Horst Köhler sagt: Die Macht ist kein Selbstzweck.

nachrichten.red@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort