Der Streit wird weitergehen

Der Runde Tisch Heimerziehung hat seine Arbeit abgeschlossen. Doch der Streit um Entschädigungen für frühere Heimkinder ist damit noch nicht beendet.

Berlin. (epd) Der Runde Tisch Heimerziehung hat seine Arbeit mit einer einstimmigen Empfehlung abgeschlossen - doch werden die Auseinandersetzungen um eine angemessene Entschädigung früherer Heimkinder weitergehen. Viele Opfer sind mit dem Ergebnis nicht einverstanden, an der Spitze der Verein ehemaliger Heimkinder. Der erklärte am Montag in Berlin, mit dem Abschlussbericht des Runden Tisches "haben sich unsere schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet".

Ehemalige Heimkinder, so heißt es, sollen in Deutschland mit einer Summe abgespeist werden, die weit hinter Entschädigungen zurückbleibe, die in Irland, den USA, Kanada und Österreich gezahlt worden seien. Die Vereinsvorsitzende Monika Tschapek-Güntner kündigte an, bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen zu wollen.

Gleichwohl ist der Runde Tisch Heimerziehung unter der Moderation der vormaligen Bundestagsvizepräsidentin und Grünen-Politikerin Antje Vollmer nicht gescheitert. Das Gremium, dem der Bund, die Länder, Kommunen, Kirchenvertreter, Wohlfahrtsverbände und Wissenschaftler angehören, empfiehlt einen Fonds von 120 Millionen Euro, aus dem individuelle Ausgleichszahlungen geleistet werden sollen. 100 Millionen Euro sind für ehemalige Heimkinder vorgesehen, die bis heute unter den Folgen des Heimaufenthalts leiden. Aus einem Topf von 20 Millionen Euro sollen entgangene Renten nachgezahlt werden.

Vollmer und auch die Heimkinder-Vertreter am Runden Tisch versicherten, dass die Hürden für die Bewilligung von Zahlungen niedrig gehalten werden sollen. Wer glaubhaft machen kann, dass körperliche, seelische oder materielle Nöte eine Spätfolge des Heimaufenthalts sind, soll Geld bekommen. Die Zahlungen sollen flexibel sein. Viele ehemalige Heimkinder leben von Mini-Renten oder Hartz-IV-Leistungen.

Tschapek-Güntner und ihre Mitstreiter sehen sich durch die Bedingungen für die Zahlungen erneut in die Opfer- und Bittstellerrolle gedrängt. Dem halten Vollmer und die Heimkinder-Vertreter am Runden Tisch entgegen, dass eine pauschale Entschädigung neue Ungerechtigkeiten hervorbringen würde. Für jene, die nun Anträge stellen wollen, bleibt die Ungewissheit, ob und wieviel Geld sie bekommen werden.

In einem halben Jahr will der Runde Tisch eine erste Bilanz der Umsetzung seiner Empfehlungen ziehen.

Kein Geld, kein Rechtsfriede

Der Runde Tisch Heimerziehung hat etwas für diese Gesellschaft Verstörendes festgestellt: In der jungen deutschen Nachkriegsdemokratie gab es mehr als zwei Jahrzehnte lang ein flächendeckendes Unrechtssystem. Es hat 800 000 wehrlose Kinder und Jugendliche aufgesogen, eingesperrt, vielfach misshandelt und mit 21 Jahren geschädigt wieder ausspuckt. Heute sind die Betroffen 50 bis 70 Jahre alt, und viele von ihnen leiden unter den Folgen. Die Betroffenen werden nun auf den mühseligen Weg von Anträgen geschickt. Warum hat der Runde Tisch so entschieden? Weil diese Bundesrepublik es nicht vertragen hätte, wenn man ihr nachsagen könnte, dass in ihr von 1949 bis 1975 systematische, staatlich geduldete Menschenrechtsverletzungen begangen wurden? nachrichten.red@volksfreund.de

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