Der Zorn der Kaltgestellten

Fakt ist: Der politische Islam hat in Ägypten den Karren vor die Wand gefahren - politisch, gesellschaftlich, ökonomisch. Fakt ist aber auch: Nach dem Putsch gegen Präsident Mohammed Mursi werden seine Anhänger nicht einfach verschwinden.

Bereits in den 1950er Jahren, unter dem Autokraten Nasser, leisteten die Muslimbrüder Widerstand gegen das damalige Regime.
Der jetzige Putsch hat die Muslimbrüder um ihren Wahlsieg betrogen. Daran ändern auch die Tatsachen nichts, dass die Bärtigen um Mursi ein bizarres Demokratieverständnis offenbarten, dass sie weltlich orientierte Großstädter mit islamischen Vorschriften gegängelt haben, und dass sich unter ihrer Regentschaft die ohnehin prekäre wirtschaftliche Situation des Landes dramatisch verschlechtert hat.
Ägypten steht am Abgrund. Der Zorn der Kaltgestellten entlädt sich in Gewalt, das Militär schlägt hart zurück. Es gibt auf lange Sicht nur einen Weg, die Spaltung des Landes abzuwenden: Die neuen Machthaber müssen gemäßigte Religiöse politisch einbinden. Misslingt dies, droht der Nation ein Desaster.
Dieses Szenario hat einen historischen Vorläufer: Vor zwanzig Jahren putschte in Algerien die Armee, als sich ein Wahlsieg der Islamischen Heilsfront abzeichnete - einer mit Mursis Muslimbrüdern vergleichbaren Bewegung. Die Islamisten wählten den bewaffneten Kampf. Die Folge: ein grausamer Bürgerkrieg mit über 120 000 Toten. Noch heute hat Algier über Teile des Landes faktisch keine Kontrolle, dort agieren Terrorgruppen und kriminelle Banden.
Ägypten hat der religiösen Revolution ein Ende bereitet. Für den Neuanfang am Nil muss gelten: Eine künftige Regierung darf nach Neuwahlen keine Politik betreiben, die sich offen gegen große Bevölkerungsgruppen richtet. Genau das hatte schon Mursi nicht verstanden. Es funktioniert auf Dauer nicht. Nicht in Ägypten, Nicht in Syrien. Nicht in der Türkei.
r.jakobs@volksfreund.de

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