Die Abrechnung mit den Neoliberalen

Seit 34 Jahren gibt es zum Frühjahrsgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ein Gegengutachten der "Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik". Es wird meist kaum beachtet, doch lohnt es sich in diesem Jahr der Krise genauer hinzuschauen.

Denn die Argumente der linken Wirtschaftsprofessoren finden zunehmend Rückhalt bei den Gewerkschaften, wie man auf den Kundgebungen am 1. Mai hören konnte. Und nicht nur Linkspartei, Grüne und Teile der SPD denken ähnlich, selbst bei der Union sind Elemente in die aktuelle Politik vorgedrungen.

Die linke Kapitalismuskritik rechnet gründlich mit der "neoliberalen" Politik ab. Hauptursachen der Krise sind demnach die erfolgte Vermögensumverteilung von unten nach oben und die Privatisierung der Rentensysteme. Das erst habe jene Kapitalmasse entstehen lassen, die an den Finanzmärkten nach Rendite suchte. Gleichzeitig ließ man den Finanzmärkten freien Lauf, bis hin zu höchst spekulativen Zockerpapieren. Für Deutschland etwa stellen die Wissenschaftler ein Sinken der Nettogehälter seit 1995 um acht Milliarden auf 521 Milliarden Euro fest - bei gleichzeitigem Steigen der Einkommen aus privaten Gewinnen und Vermögen um 137 Milliarden Euro auf 584 Milliarden Euro. Als erschwerend für die deutsche Situation werten die linken Kritiker den Ausbau der Exportwirtschaft. In der Folge sinkender Lohnstückkosten wurde man zwar sechs Mal Exportweltmeister, aber die Binnennachfrage stagnierte. Nun bricht der Export weg, und der Schlamassel ist da.

Zur Finanzmarktkontrolle sind inzwischen alle Parteien und weltweit fast alle Regierungen bereit. An der Frage jedoch, ob nun umgekehrt wieder eine Umverteilung der Vermögen nach unten erfolgen muss, scheiden sich die Geister. Bei den Reichen wollen die linken Wissenschaftler ebenso wie die Gewerkschaften und die Linkspartei jenes Geld finden, das sie für die Ankurbelung der Binnennachfrage brauchen. Die "Reichensteuer" der SPD hat das gleiche Motiv. Das alternative Gutachten schlägt ähnlich wie Gewerkschaften und Linkspartei ein gigantisches Konjunkturprogramm von 110 Milliarden Euro jährlich vor, das vor allem in Bildungsinvestitionen, höheres Arbeitslosengeld II und staatliche Beschäftigung fließen soll. Überhaupt heißt die Devise: Mehr Staat. Dass Staatsunternehmen mangels Konkurrenzdrucks schnell unwirtschaftlich arbeiten, also auf Kosten des Volksvermögens, wird unterschlagen.

Weil die Wissenschaftler wissen, dass selbst durch Reichen- und Vermögenssteuer 110 Milliarden Euro nicht zu mobilisieren sind, setzen sie auf einen "Selbstfinanzierungseffekt" der Konjunkturprogramme und akzeptieren eine höhere Neuverschuldung. Sie nehmen also die weitere Belastung künftiger Generationen hin. Vor allem aber beantwortet dieses Politikmodell nicht die Frage, wie und wo ein Land wie Deutschland, das über keine Rohstoffe verfügt, langfristig sein hohes Konsumniveau erwirtschaften kann. In der globalen Konkurrenz geschieht das mit Produkten, die besser und billiger sind, als die anderer Anbieter. Zwar kann und muss man sicher etwas an der Vermögensverteilung korrigieren. Auch muss man die Kaufkraft gerade der unteren Schichten wieder stärken. Aber wenn der Kern der Wertschöpfung langfristig nicht erfolgreich ist, hilft nur noch die Gelddruckmaschine, um diese sozialen Ziele zu erreichen. Inflation aber ist das Unsozialste überhaupt.

nachrichten.red@volksfreund.de

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