Die große Heuchelei

Wem es in der Küche zu heiß ist, der sollte nicht Koch werden. Die alte Weisheit gilt auch für die Politik: Wer als Politiker nicht darauf gefasst ist und geschickt damit umgehen kann, dass er heute gehypt und morgen verdammt wird, der sollte sich eben nicht für diesen Beruf entscheiden.


Norbert Röttgen darf man getrost unterstellen, dass er schlau genug ist zu wissen, dass Politik eine immer rasanter werdende Achterbahnfahrt darstellt. Den Umstand mag man gut oder schlecht finden, aber Mitleid hat Röttgen nicht verdient. Schon gar nicht das Mitleid derer, die jetzt Angela Merkels hartes Handeln kräftig kritisieren und dem geschassten Umweltminister öffentlich ein paar Tränen hinterherweinen.
Denn das ist vor allem eines: eine große Heuchelei. Und die ist im politischen Geschäft genauso gang und gäbe wie das ständige Auf und Ab von Politikern in der öffentlichen Meinung und Wahrnehmung.
Was haben die lieben Parteifreunde hinter den Berliner Kulissen nicht auf Röttgen geschimpft, über seine Arbeit als Minister, vor allem auf seine mangelnde Einsicht, den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen anders aufzuziehen und sich klarer zu seiner persönlichen Zukunft zu äußern!
Vorneweg jene, die Röttgens eigenem nordrhein-westfälischen Landesverband angehören. Jetzt fließen insbesondere dort die Krokodilstränen.
Und was ist auf der anderen Seite nicht über Angela Merkel in der Vergangenheit gelästert worden, weil sie nicht entscheidungsfreudig sei, weil sie die Dinge wabern lasse und nicht vorantreibe!
Merkel jetzt für den Rauswurf zu kritisieren, für ihre Konsequenz, ist deshalb verlogen. Welche tatsächlichen Beweggründe auch immer hinter ihrer Entscheidung gestanden haben mögen, eines kann man der Kanzlerin jedenfalls nicht vorwerfen - dass sie Röttgen eiskalt ins Messer hat laufen lassen. Das ist in der Politik wahrlich schon viel wert.
Zur Realität gehört freilich auch, dass es in diesen politischen Sphären nur äußerst selten eine zweite Chance, ein Comeback gibt.
Warum auch? Energiewende versemmelt, Wahlkampf dilettantisch, Ergebnis desaströs - in jedem Unternehmen würde eine Führungskraft mit einer ähnlich bitteren Leistungsbilanz vor die Tür gesetzt. Das darf in der Politik nicht anders sein.
Und eines ist doch auch klar: Irgendwann wird die Wirtschaft um den gut vernetzten Röttgen buhlen, so wie schon vor Jahren, als er auf dem Sprung zum Bundesverband der Industrie war. Er wird wie Guttenberg, Merz, Schröder und all die anderen, die Amt und Würden aufgeben mussten, irgendwo weich landen.
Da kann man das leidige Auf und Ab in der Politik gut verschmerzen.

nachrichten.red@volksfreund.de

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