Die große Verlockung

Endlich mal ein gute Nachricht für alle Bürger: Nach Lage der Dinge muss sich Finanzminister Wolfgang Schäuble für den Bundeshaushalt spürbar weniger Geld bei den Banken pumpen als bislang befürchtet.

Entsprechend geringer fallen auch die Zinsbelastungen aus, die die Allgemeinheit über Steuern zu tragen hat. Trotzdem besteht für eine finanzpolitische Entwarnung nach wie vor kein Anlass. Sie wäre sogar grob fahrlässig. Denn die Dimension der Neuverschuldung - von den alten Schulden nicht zu reden, - ist immer noch dramatisch genug: Auch wenn der Kreditbedarf in diesem und im kommenden Jahr "nur" jeweils zwischen 65 und 55 Milliarden Euro liegen mag, bleibt Schäuble Schuldenkönig der Nation.

Selbst Theo Waigel ist da noch ein Waisenknabe. Dem vormaligen Bundesfinanzminister von der CSU war die Schuldenkrone 1996 wegen umgerechnet 40 Milliarden Euro aufgesetzt worden. Peanuts würde man heute fast sagen.

Erstaunlich ist die Tatsache, dass Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände wegen des kleinen Lichtblicks in der düsteren Bilanz schon so tun, als könne das Sparen nun begraben werden. Und wahrscheinlich dauert es auch gar nicht lange, bis sich einzelne Kabinettsmitglieder aus der Deckung wagen, um vielleicht doch noch den einen oder anderen kostenträchtigen Wunsch in ihren Etats unterzubringen. Selbst US-Präsident Barack Obama drängt die Kanzlerin, es mit dem Rotstift nicht so genau zu nehmen. Im Interesse der Weltkonjunktur. Mit Verlaub: Sind es nicht gerade die USA mit ihrem Wachstum auf Pump gewesen, die der Welt die schlimmste Wirtschafts- und Finanzkrise seit Generationen beschert haben? Viele haben das offenbar schon vergessen.

Die Frage ist daher auch nicht, ob, sondern wie am besten gespart werden kann. An dem geplanten Maßnahmepaket der schwarz-gelben Regierung gäbe es da sicher noch einiges zu korrigieren. Mit der verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse steht die Regierung ohnehin unter Zugzwang. Nur weil die Neuverschuldung etwas weniger furchtbar ausfällt als angenommen, hat sich diese Vorgabe nicht in Luft aufgelöst. Theoretisch könnte die Regierung auf einen Teil des anvisierten Einsparvolumens verzichten. Praktisch würde sie dadurch freilich auch noch den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit verlieren.

Auch deshalb hat Wolfgang Schäuble allen Grund, die gestrige Nachricht von der Entspannung in Sachen Neuverschuldung nicht auf die Goldwaage zu legen.

Die Verlockung ist groß, dass der alte finanzpolitische Schlendrian wieder Oberwasser gewinnt. Wenn nicht jetzt, dann spätestens im Wahljahr 2013. Es nicht dazu kommen zu lassen, wäre ein sinnstiftendes Projekt für Schwarz-Gelb. Die Koalition hat sonst keins.

nachrichten.red@volksfreund.de

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