Die Möchte-gern-Partei

In den Ländern sind die Grünen eine Macht, im Bund nur eine Mini-Opposition. Eine Möchte-gern-Partei.

Zum dritten Mal in Folge nach einer Bundestagswahl nur kleinste Kraft im Parlament geworden. Wider alle grünen Erwartungen. Das ist bitter. Der Parteitag in Hamburg sollte diese Sinnkrise endgültig beenden. Kaum ein Redner, der nicht geschworen hätte, beim nächsten Versuch im Jahr 2017 werde alles anders, also viel besser. Doch die dafür nötige Grundsatzdebatte über den künftigen Kurs ist weitgehend ausgeblieben. Die Grünen haben beschlossen, ihren unseligen Ruf als Verbotspartei abgeschüttelt zu haben und ansonsten große Mengen an Harmoniesoße über ihre internen Konflikte gekippt. Aber das ist eben noch keine Strategie für die nächste Bundestagswahl.
Zweifellos resultiert dieses Manko auch aus den Unwägbarkeiten beim Spitzenpersonal. Weder beim linken noch beim Realo-Flügel glaubt man ernsthaft, dass Simone Peter und Cem Özdemir ein weiteres Mal als Führungsduo in Betracht kommen. Zu sehr haben sich die beiden zerstritten. Zu orientierungslos wirkt dadurch auch die gesamte Partei. Ersatz ist aber noch nicht in Sicht. Selbst wer sich dazu berufen fühlt, wird das wohlweislich für sich behalten, um nicht gleich "verbrannt" zu werden. Denn bis zu den näch-sten Vorstandswahlen ist noch ein ganzes Jahr Zeit. So bleibt auch die programmatische Ausrichtung einstweilen im Vagen. Nachdem Jürgen Trittin zum Spitzenkandidat bestimmt worden war, trimmte der seine Partei auf einen stramm linken Kurs. Mehr Soziales, höhere Steuern, starke Umverteilung. Das war letztlich der grüne Wahlverlierer. Auch weil SPD und Linke so etwas viel besser können. So richtig eingestanden haben sich das die Grünen aber bis heute nicht. Stattdessen glauben viele, mit der Abkehr von dem Unsinn, den Menschen vorzuschreiben, wann sie Fleisch zu essen haben (am besten gar nicht), sei es schon getan. Ist es aber nicht. Im Kern geht es darum, wie viel Trittin in der Bundespartei künftig noch stecken soll - und wie viel Kretschmann. Der baden-württembergische Ministerpräsident hat bewiesen, dass die Grünen es mit einer betont wirtschaftsfreundlichen Strategie auf ein sattes zweistelliges Wahlergebnis bringen können. Nun ist das "Ländle" sicher nicht der Bund. Aber der Fingerzeig ist deutlich: Die Grünen müssen pragmatisch sein, ohne ihren Gestaltungsanspruch aufzugeben. So wie es Kretschmann zuletzt auch beim Asylkompromiss vorgemacht hat. Darin wird das Kunststück ihrer künftigen programmatischen Ausrichtung bestehen.
In Hamburg gab es dafür auch hoffnungsvolle Ansätze. Gelänge es der Partei tatsächlich, ohne besserwisserische Attitüde das Bewusstsein in der Bevölkerung für gesundes Essen und eine nachhaltige, umweltfreundliche Landwirtschaft mit strengen Tierstandards zu schärfen, könnte daraus eine Bewegung ähnlich der gegen die Atomkraft entstehen. Denn bei allem deutschen Hang zu möglichst billigen Lebensmitteln - krank davon will auch keiner werden.
nachrichten.red@volksfreund.de

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