Die neue deutsche Mauer

Einheitsfeier in Dresden mit hässlicher Begleitmusik

Nicht nur das Wetter war 1990 beim ersten Einheitsfest schöner, sondern auch die Stimmung. Damals flanierten Millionen Menschen sehr friedlich durch Berlins Zentrum, die Politiker zwischen ihnen. Polizei war praktisch nicht zu sehen. Man schaute Sambagruppen und kurdischen Volkstänzern zu, aß regionale Spezialitäten, und die Armeeorchester Russlands, Englands, Frankreichs und der USA gaben ein gemeinsames Konzert.

26 Jahre danach in Dresden: Aggressive Beschimpfungen der Kanzlerin und der anderen Ehrengäste durch Pegida-Anhänger, Bombenanschlag gegen eine Moschee vorher, Scharfschützen, Hochsicherheitszone. Eine Feier mit hässlicher Begleitmusik.

Demonstrationen gab es schon öfter am deutschen Nationalfeiertag. Etwa 2004, als parallel zum großen Fest Tausende gegen Hartz IV auf die Straße gingen. Sie zeigten, dass zwar die politische Einheit verwirklicht war, nicht aber die soziale. Das ist inzwischen besser geworden, die Arbeitslosigkeit im Osten zum Beispiel ist drastisch gesunken. Die wirtschaftliche, soziale und politische Einheit ist heute weit fortgeschritten. Es gäbe Grund, sich zu freuen.

Was in Dresden - wie zuvor in Bautzen und etlichen anderen Orten - passiert ist, ist etwas anderes. Deutlich wird eine tiefe kulturelle Kluft in der Gesellschaft. Im Osten ist sie tiefer als im Westen, aber es gibt sie inzwischen überall. Es ist die Verweigerung eines Teils der Bevölkerung gegenüber jeglicher weiterer Öffnung zu anderen Kulturen, Religionen, und, wie man beispielhaft an der Gewalt gegen polnische Staatsbürger in England sieht, letztlich gegenüber Fremden überhaupt. Teils stehen Ängste und Unsicherheiten dahinter, auch schlichte Zurückgebliebenheit und Uninformiertheit, teils aber ist es eine geschürte, wohl organisierte Konfrontation. Wie jetzt in Dresden durch Pegida.

Die neue deutsche Rechte ist kompromisslos gegen die "Systemparteien" wie gegen die "Lügenpresse". Und nimmt auch Gewalt in Kauf. Der Vergleich zwischen der Einheitsfeier 1990 und der diesjährigen ist ein grober Vergleich, weil er alle Grautöne herausfiltert. Weil er die schweigende Masse nicht berücksichtigt, die wie jedes Jahr nur kommt, um zu gucken und zu futtern, und nicht die Stolzen, die sich wirklich freuen über das Erreichte. Oder die Gleichgültigen, die den freien Tag genießen. Aber man sieht umso deutlicher: 26 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Deutschland wieder geteilt.

Es gibt eine neue Mauer des Denkens, und sie ist äußerst schwer zu überwinden. Die jenseits von ihr sind, werden so bald nicht mehr herüberkommen; sie werden im Gegenteil immer skrupelloser, denn sie wollen sich jetzt durchsetzen. Und die diesseits sind, dürfen ihnen nicht nachgeben, um sie nicht noch stärker zu machen.

So weit ist es gekommen: Am Tag der Deutschen Einheit muss die Polizei Deutsche und Deutsche auseinanderhalten, die politischen Repräsentanten vor Teilen des Volkes schützen, Gäste vor Bürgern der Gastgeberstadt. Kein schöner 3. Oktober.
nachrichten.red@volksfreund.de

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