Die Obenschwimmerin

Angela Merkel ist flexibel. Sie findet jetzt öffentlich den Mindestlohn gut, die Mietpreisbremse, die Rente mit 63 und die Finanztransaktionssteuer.

Wie sie diese ihr von den Sozialdemokraten aufgenötigten Maßnahmen gestern in ihrer Regierungserklärung anpries, grenzte schon an Selbstverleugnung.

Fast wirkte die Kanzlerin wie die Queen, die bei ihren Thronreden die Programme der Premierminister lediglich vorliest. Soll das Richtlinienkompetenz sein?

In Koalitionen gilt zwar prinzipiell für alle Partner, dass jeder Kompromisse machen muss. Merkels Problem ist jedoch, das man inzwischen nicht mehr weiß, was denn eigentlich CDU-Politik wäre, gäbe es den Koalitionspartner nicht.

Bei der SPD ist das klar: Sie würde Steuern für Reiche erhöhen und die Bürgerversicherung einführen. Aber was würde die Union viel anders machen als in diesem Koalitionsvertrag steht, wenn sie allein regieren könnte?

Wer nach allen Seiten offen ist, lautet ein Spruch, der ist nicht ganz dicht. Erschöpft sich der Sinn der Christdemokratie inzwischen nur noch darin, Angela Merkel vorne zu halten? Und ist oben schwimmen der einzige wirkliche Ehrgeiz dieser Kanzlerin, um welche Preise auch immer?

Tatsächlich hat Angela Merkel eine eigene, unverwechselbare Botschaft, die sie auch gestern kundtat: Sie möchte den Ehrgeiz des Landes anstacheln, seine Leistungsfähigkeit herauskitzeln, jeden Versuch ausbremsen, den heutigen Wohlstand zulasten späterer Generationen zu verjuxen. Sie denkt global, weiß um die Konkurrenzen und möchte deshalb nicht nur Deutschlands Antreiberin sein, sondern die ganz Europas. Und zwar, das darf man ihr abnehmen, zum Wohle aller, nicht nur der Reichen.

Eine solche Grundhaltung ist, man vergleiche nur die Rückschritte Frankreichs unter François Hollande oder Italiens unter Silvio Berlusconi, schon sehr, sehr viel.

Nur, warum ließ die Kanzlerin dann in der letzten Legislaturperiode das unsinnige Betreuungsgeld zu und jetzt die Maut?

Warum duldet sie, dass die Rentenkassen geplündert werden, statt über Steuern für mehr soziale und Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen?

Warum akzeptiert sie, dass es beim Mindestlohn - der schadet wahrlich nicht - keinerlei Ausnahmen geben soll?
Warum stellt sie das verquere System der Umsatzsteuer nicht auf die Tagesordnung?

Warum hält sie an der finanziellen Verschwendung im Gesundheitswesen fest?

Die Antwort auf diese und viele andere Fragen lautet immer: Weil Angela Merkel doch nicht ihre Position als Kanzlerin gefährden wird. Weil sie oben bleiben will. Politischer Mut sieht anders aus.

nachrichten.red@volksfreund.de

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