Meinung Die Schnelllebigkeit der Politik

Schulz, Gabriel, de Maizière – viele Politiker spüren die Schnelllebigkeit der Politik in diesen Tagen. Nicht nur bei den etablierten Parteien bewegt sich vieles.

 Thomas Roth

Thomas Roth

Foto: TV/Friedemann Vetter

Sigmar Gabriels Aus kam nicht mehr überraschend. Nicht nur Hinterbänkler verkündeten sein Ende als Außenminister schon lange. Hinter verschlossenen Türen gab es keinen in der SPD-Führung, der bei der Frage nach Gabriels künftiger Rolle dessen stillose Kritik an Schulz unerwähnt ließ. Es gab niemanden, der nicht eine Geschichte zum Besten geben konnte, die Gabriels Teamfähigkeit ins schlechte Licht rückte. Der Goslarer hatte mit seinen Angriffen seinen Gegnern eine Steilvorlage gegeben.

Das Spannende ist nun, wer Gabriel plötzlich zur Seite springt: So mancher, der ihm vor einem Jahr Führungsqualitäten absprach, der ihm vorwarf, die SPD in den Ruin zu führen, sieht ihn jetzt als Instinktpolitiker, als einzigen, der mit Temperament und Bürgernähe die SPD voranbringen könnte. Und vergisst dabei, dass er bei der Erneuerung der Partei gescheitert ist, dass er das Zusammenspiel mit großen Zeitungen und Magazinen beherrschte und die richtigen Themen fand, die SPD insgesamt aber davon nicht profitieren konnte.

Gabriel ist Einzelkämpfer, willensstark, charismatisch, aber er konnte sich mit der Rolle hinter Schulz nie abfinden. Und auch das ist nicht zu bestreiten: Seine Beliebtheitswerte stiegen erst als Außenminister an: auf dem Posten, der seine Inhaber in Deutschland fast durchgehend zu ungeahnten Rekordwerten in der Popularität führte – nur Guido Westerwelle schaffte das Kunststück, diesen Trend für sich umzudrehen.

Nun muss Gabriel von der großen Bühne abtreten. Und er ist nicht alleine. An vorderster Stelle steht für diese Schnelllebigkeit Martin Schulz. Er schaffte es in einem Jahr vom Erlöser der SPD zum Sündenbock für alles, was schieflief. In anderen Parteien zeigt sich Ähnliches: Vor der Wahl galten Thomas de Maizière und Hermann Gröhe bei der CDU als gesetzt. Nun sind sie Opfer der Erneuerung geworden. Sie müssen weichen, um Angela Merkel die Gefolgschaft der Partei und damit die Kanzlerschaft zu sichern.

Von den Veränderungen profitieren natürlich andere Politiker. Ein Beispiel: Katarina Barley, die es von der Für-kurze-Zeit-Familienministerin zur Doppelministerin in der geschäftsführenden Regierung geschafft hat – und die nun Justizministerin wird. Sie blieb bei allem Stühlerücken in der SPD stets auf der Kabinettsliste. Einerseits, weil sie keine Lautsprecherin ist, die sich mit jedem anlegt. Andererseits aber auch – und das ist nicht nur in der SPD zu hören – weil sie sich in die Ressorts schnell einarbeitete und einen guten Job machte. Dass sie als promovierte Juristin nun das Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz führt, ist mehr als nachvollziehbar.

Die Schnelllebigkeit der Politik zeigte sich in dieser Woche auch bei der Partei, die mit ihrem Ergebnis die Koalitionsfindung im Bund schwierig gemacht hatte: der AfD. In Sachsen-Anhalt zwangen die eigenen Landtagskollegen Fraktions- und Landeschef André Poggenburg zum Rücktritt. Der Mann, der als Spitzenkandidat 24,3 Prozent bei der Landtagswahl geholt hatte, muss wegen rassistischer Sprüche zurückweichen. „Kümmelhändler“ und „Kameltreiber“ verwendete er bei Kritik an der Türkischen Gemeinde. Bemerkenswert: Erstmals seit Monaten gibt es in der AfD als Antwort auf Ausfälle nicht nur Abmilderungen, sondern ernsthafte Konsequenzen. Wohin steuert nun die Partei, die so schnell aufstieg und die mancher vom Verfassungsschutz beobachten lassen will? Das ist noch offen – doch immerhin: Im Umgang mit einem völkischen Sprücheklopfer sind gemäßigtere Stimmen wieder einmal durchgedrungen. Nun ist die passende Zeit für die politische Auseinandersetzung mit der stärksten Oppositionspartei im Bundestag, nicht für deren Überwachung.

t.roth@volksfreund.de

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