Ein Fenster für den Frieden

Vieles von dem, was Wladimir Putin gestern sagte, war schlichtweg Lüge. Zum Beispiel, dass das Leben der Russen auf der Krim konkret bedroht gewesen sei, oder dass die anonymen Soldaten, die dort die ukrainischen Basen oder Flughäfen umstellen, nicht seiner Armee angehören, sondern Heimatschützer sind.

Es hat sich trotzdem gelohnt, dem russischen Präsidenten genau zuzuhören. Weil seine Aussagen und die dahinterstehenden Haltungen ein Fenster für den Frieden öffnen.
Russland betrachtet sich offenbar noch immer als Vormund seiner ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken und fühlt sich mitverantwortlich für deren innere Verhältnisse. Das ist freilich auch ein Vorwand, um sie als Puffer gegen den Westen zu gebrauchen, ganz besonders die Ukraine. Die erste Lehre also ist: Putin ist weit entfernt vom westlichen Kooperationsmodell, er sieht Russland weiterhin als konkurrierende Großmacht. Und darin will er endlich vom Westen ernst genommen werden. Das ist eine ernüchternde Erkenntnis, aber zugleich auch eine Handlungsempfehlung für den künftigen Umgang mit Moskau.
Andererseits geht es ihm nicht um imperiale Ausdehnung, selbst auf der Krim nicht. Die soll selbst entscheiden, und Putin nannte als Vorbild den Kosovo. Dessen vom Volk beschlossene Abspaltung von Serbien hatte der Westen seinerzeit gegen Russlands entschiedenen Widerstand befürwortet. Ein von Moskau abhängiger Zwergstaat Krim wäre sozusagen Putins Rache für Pristina. Quitt.
Was die Ukraine angeht, so liegt die Hoffnung in den deutlich deeskalierenden Tönen des russischen Präsidenten. Er will den Militäreinsatz zurückfahren und nicht in die Ost-Ukraine einmarschieren. Er will eine neue Ordnung in der Ukraine, mit völlig neuen Leuten, die mit der alten korrupten Klasse nichts zu tun haben. Sogar Sympathie für diesen Teil der Maidan-Demonstranten hat Putin erkennen lassen und Ex-Präsident Janukowitsch eine neue politische Zukunft glatt abgesprochen. Die Frage, mit welcher Legitimität Russland beansprucht, sich derart in die inneren Probleme eines Nachbarlandes einzumischen, kann man stellen, nur bringt sie nichts. Wichtiger ist der Fakt: Russland will bei der Neugestaltung der Ukraine mitreden, und zwar entscheidend. Das Faustpfand dafür sind die Gaslieferungen, sind die Schulden Kiews, sind zur Not die Russen im Osten, die jederzeit eine Situation wie auf der Krim heraufbeschwören könnten. Die Säbel haben laut genug gerasselt, das reicht Putin vorerst als Machtdemonstration.
Das alles beendet manchen Traum im Westen. Haben viele hier nicht tatsächlich geglaubt, die Ukraine gehöre ganz automatisch zu EU und Nato? Nun muss der Blick dem Realismus weichen. Das Land kann Zukunft nur gewinnen, wenn es einen Konsens seiner Volksgruppen findet und wenn der Westen und Russland es nicht mehr zum Spielball ihrer Interessen machen. Das bedeutet: blockfrei auf lange Sicht, nicht enger an das eine wie das andere Lager gebunden, bis sich vielleicht irgendwann einmal geopolitisch die Verhältnisse ändern.
nachrichten.red@volksfreund.de

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