Ein gewagtes Experiment

Die SPD hat Wort gehalten. Der von ihr im Wahlkampf vehement verfochtene Mindestlohn von 8,50 Euro ist auf dem Weg ins Gesetzblatt.

Für rund vier Millionen Arbeitnehmer verbessern sich damit die Vergütungsbedingungen. Und das zum Teil erheblich. Im Kern handelt es sich freilich um ein gewagtes wirtschaftliches Experiment. Richtig ist, dass die allermeisten EU-Staaten längst einen Mindestlohn haben. Tatsache ist aber auch, dass die Arbeitslosigkeit in den allermeisten EU-Staaten deutlich höher liegt als in Deutschland. Womit auch schon das Spannungsfeld dieses Reformvorhabens skizziert wäre.
Nun ist der Zeitpunkt für die Einführung einer weitgehend flächendeckenden Lohnuntergrenze zweifellos günstig. Die deutsche Wirtschaft ist robust, und praktisch keine Prognose kündet von einer gegenteiligen Entwicklung. Vielerorts werden sogar Arbeitskräfte gesucht. Vor allem Fachleute. Und die sind bekanntlich nicht zum Nulltarif zu haben. Schon dadurch dürfte sich das allgemeine Lohnniveau tendenziell erhöhen. Allerdings gibt es auch die vom Arbeitsmarkt Abgehängten, also Menschen mit schlechter oder überhaupt keiner Qualifikation. Immerhin ist jeder dritte Arbeitslose in Deutschland seit über einem Jahr ohne Job. Da macht es durchaus Sinn, solche Personen zumindest für eine begrenzte Zeit vom Mindestlohn auszunehmen, um zusätzliche Einstellungshemmnisse zu vermeiden.
Ansonsten hat Arbeitsministerin Andrea Nahles die Ausnahmen ganz bewusst auf Sparflamme gehalten. Auch das entspricht dem Wahlversprechen ihrer Partei. Trotzdem darf am Ende nicht die Ideologie über die Vernunft triumphieren. Denn einerseits hat Nahles sehr wohl erkannt, dass es besonders für Jugendliche mit schlechten Schulnoten attraktiver sein könnte, einen nach Mindestlohn bezahlten Hilfsjob anzunehmen, als sich den Mühen einer schlechter vergüteten Ausbildung zu unterziehen.
Wenn auf der anderen Seite aber die Statistiken sagen, dass das Durchschnittsalter bei Ausbildungsbeginn in Deutschland mittlerweile bei fast 20 Jahren liegt, dann ist es schon einigermaßen rätselhaft, warum die Ministerin eine Altersgrenze von nur 18 Jahren ins Gesetz schreiben will, bis zu der kein Mindestlohn zu zahlen wäre. Denn damit handelt Nahles letztlich gegen ihre eigene Überzeugung.
Das mindeste, was in ihrer Vorlage stehen müsste, wäre daher eine Prüfklausel. Deutschland verfügt glücklicherweise über eine sehr geringe Jugendarbeitslosigkeit. Falls sich dies durch den Mindestlohn zum Schlechten wendet, muss das Gesetz korrigiert werden. Am besten wäre es freilich, von vornherein eine höhere Altersgrenze festzulegen. In den anstehenden parlamentarischen Beratungen bietet sich dazu noch genügend Gelegenheit. Den politischen Erfolg der SPD würde das nicht schmälern.

nachrichten.red@volksfreund.de

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