Ein neuer Wahlkampf-Hit

Das Lohndumping in Deutschland hat die besten Chancen, zum Wahlkampf-Hit zu werden. In 20 von 27 EU-Staaten gibt es bereits einen Mindestlohn.

Die meisten Länder, darunter selbst Nationen wie das nicht gerade als sozialistisch bekannte Großbritannien, haben damit gute Erfahrungen gesammelt.
Weil sich Deutschland bisher dem Mindestlohn verweigert, leistet sich die Bundesrepublik einen riesigen, staatlich subventionierten Niedriglohnsektor. Der Staat überweist mittlerweile mehr als elf Milliarden Euro jährlich an Geringverdiener, die von ihrem Einkommen nicht leben können. Auf der einen Seite bekommen diese Menschen ihr Gehalt bis zum Hartz-IV-Niveau aufgestockt. Auf der anderen Seite bezuschusst der Steuerzahler damit Unternehmen, die sich dem freien Wettbewerb in ihrer Branche verweigern. Still und heimlich ist der Niedriglohnsektor damit zu einer der teuersten Einzelsubventionen im Haushalt geworden.
Paradoxerweise verstößt beim Thema Mindestlohn ausgerechnet die Union gegen die marktwirtschaftlichen Ideale, die sie in ihrem Parteiprogramm verankert hat. Zwar fordert sie auch eine allgemeinverbindliche Lohnuntergrenze. Doch diese soll nur in Branchen gelten, in denen es keine Tarifverträge gibt. Dadurch sollen sich die Lohnschranken an der wirtschaftlichen Lage von Branchen und Regionen ausrichten. In der Konsequenz würde ein flächendeckender Mindestlohnflickenteppich entstehen. Das sei dann eine marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze und kein politischer Mindestlohn, heißt es bei der Union.
Bei genauer Betrachtung bleibt von dieser Argumentation nicht mehr viel übrig. Was bitteschön soll marktwirtschaftlich sein an diesem Verfahren? Etwa dass eine staatliche Tarifkommission zentral über die Löhne eines Unternehmens entscheidet? Diese Kommission legt nur fest, haftet aber nicht. Geht eine Firma deshalb pleite, sind die Urheber nicht betroffen. Das ist ein deutlicher Unterschied zu normalen Tarifverhandlungen, auf der beide Seiten die Konsequenzen falscher Entscheidungen selbst spüren.
Als Alternative existiert das am Freitag vom Bundesrat beschlossene Konzept von SPD und Grünen, die eine flächendeckende einheitliche Grenze von mindestens 8,50 Euro fordern. Die Konsequenz wäre ein Lohnkostenschub von 14 Milliarden Euro für die Arbeitgeber. Für die Gesellschaft und damit den Steuerzahler würde jedoch ein Großteil der Subventionierung des Niedriglohnsektors entfallen.
Auch dieser Entwurf sieht die Gründung einer übergreifenden Tarifkommission vor, die jährlich über die Höhe des Mindestlohns entscheiden soll. Gibt es Streit, entscheidet die Politik in Gestalt des Arbeitsministers. Er kann den Vorschlag der Kommission auch ablehnen und selbst einen Lohn per Verordnung empfehlen. Der Bundesrat muss zustimmen.
Der Haken an dem Konzept des linken Lagers ist jedoch, dass bestehende Tarifverträge, die niedrigere Löhne enthalten, ausgehebelt würden. Das bedeutet einen Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie.
Deutlich einfacher als diese Vorschläge wäre ein Verfahren nach dem Vorbild Luxemburgs. Hier legt der Staat alle zwei Jahre anhand der Preis- und Lohnentwicklung den Mindestlohn fest. Zuletzt wurde er Anfang des Jahres auf 10,83 Euro pro Arbeitsstunde erhöht.
Für die Region bedeutet der Mindestlohn im Nachbarland einen ständigen Verlust von Fachkräften. Denn interessanterweise haben die Unternehmen hier nicht mit steigenden Stundenlöhnen auf die Konkurrenz aus dem Ausland reagiert. Der nun beschlossene Mindestlohn könnte deshalb ein wichtiges Instrument werden, um die regionale Wirtschaft für Fachkräfte wieder attraktiver zu machen. Ein Patentrezept gegen Armut ist er jedoch nicht, denn umgerechnet auf eine Vollzeitstelle würde er nur ein monatliches Bruttoeinkommen von 1360 Euro bedeuten.
t.zeller@volksfreund.de

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