Ein Riss wie ein Schisma

"Reisende soll man nicht aufhalten". Andrea Nahles' Kommentar zum Austritt Wolfgang Clements aus der SPD ähnelt fatal dem Ausspruch Erich Honeckers, der den DDR-Ausreisenden hinterher rief: "Wir weinen ihnen keine Träne nach".

Die SPD sollte weinen, dass sie Wolfgang Clement nicht halten konnte. Wohl wahr, der Mann ist auf einem Egotrip. Mit der Rüge für seinen Wahlaufruf gegen Andrea Ypsilanti, der maßvollsten Strafe überhaupt, war ihm eine goldene Brücke gebaut worden. Statt sie zu betreten bricht Clement nun alle Brücken zur SPD ab. Und zur eigenen Geschichte. Er überschätzt sich maßlos, wenn er meint, dass er das, was er geworden ist - Ministerpräsident, Superminister, Aufsichtsrat - auch ohne die Partei hätte werden können. Und es ist maßloser Undank, wenn er nicht mehr Geduld mit der SPD aufbringt, die immer schon aus vielen Menschen mit unterschiedlichen Meinungen bestand. Auch als er ihr stellvertretender Vorsitzender war.

Aber zur Wahrheit gehört, dass Wolfgang Clement keinen Grund sah, mit der SPD zu hadern, als dort noch Gerhard Schröder das Sagen hatte, als ein Kurs gefahren wurde, der ökologisch war und trotzdem wirtschaftsorientiert, der sozial war, aber nicht sozialistisch. In der Ära Beck entstand diese große Entfremdung, die nun zum Austritt führte, in einer Ära, die die erfolgreichen Agenda-Reformen in Frage stellte und den versuchten Wortbruch in Hessen für legitim erklärte. Es war eine Zeit, in der die SPD ihren Kurs verlor. Es liegt eine gewisse Tragik darin, dass Clement jenen, die heute die Partei führen und diesen Kurs wieder finden müssen, Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier, mit seinem Austritt das Leben noch schwerer macht. Wenn die Hartz-IV-Gegner in der SPD zur Linken abgewandert sind und der Macher der Hartz-Reformen der Partei nun ebenfalls den Rücken kehrt, dann stimmt etwas fundamental nicht. Dann ist das ein Riss wie ein Schisma. Die neue Führung hat eine gewaltige Aufgabe vor sich. Sie muss aus der SPD wieder eine Volkspartei machen, in der Gewerkschafter sich ebenso wohl fühlen wie Unternehmer. Eine Partei, von der alle Schichten glauben, dass sie zugleich Deutschlands Wohlstand sichern und mehr Gerechtigkeit schaffen kann. Früher war die SPD das. Aber das ist ziemlich lange her.

nachrichten.red@volksfreund.de

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