Meinung Ein schlechter Ratgeber

Die Deutschen und ihre Furcht vor Altersarmut.

 Stefan Vetter

Stefan Vetter

Foto: k r o h n f o t o .de

Kommt die Rede auf den Ruhestand, sehen die meisten Deutschen schwarz. Das hat eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung gerade erst wieder eindrucksvoll bestätigt: Zwei von drei Bundesbürgern verbinden mit dem Älterwerden vor allem eine grassierende Altersarmut. Doch wie entstehen eigentlich solche kollektiven Befürchtungen, wo derzeit doch nur etwa drei Prozent der Rentner von staatlicher Stütze leben und die Ruheständler insgesamt zu den mit Abstand am wenigsten sozial gefährdeten Bevölkerungsgruppen im Land zählen?

Ein Teil der Erklärung besteht sicher darin, dass die Armutsdebatte immer häufiger von schrillem Alarmismus bestimmt wird, der selbst Menschen verunsichert, die persönlich nie im Alter werden darben müssen. Erinnert sei nur an einen Bericht des Westdeutschen Rundfunks vor zwei Jahren. Damals wurde die Nation mit der Botschaft aufgeschreckt, dass jedem zweiten Rentner (!) von 2030 an die Altersarmut drohe. Der Befund war schlicht aus der Luft gegriffen, weil er mit grundfalschen Annahmen operierte, aber er war in der Welt. Auch Slogans wie „Rente muss für ein Bierchen reichen“, mit dem der DGB Stimmung im Wahlkampf machte, suggerieren ein Altersdasein in Not und Elend. Und Spitzenpolitiker wie Horst Seehofer oder Andrea Nahles stellten sich gar noch an die Spitze der Bewegung, indem sie Abhilfe durch eine Stabilisierung des Rentenniveaus versprachen.

Dabei ist die Höhe des Rentenniveaus genauso wenig ein schlüssiger Indikator für ein gutes Auskommen im Alter wie der allgemeine Gradmesser, wonach die Armut bei weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens beginnt. Steigen nämlich die Gehälter der oberen Schichten, rutschen Normalverdiener automatisch unter diese Marke, obwohl sich an ihren Einkommensverhältnissen nichts geändert hat. Das Rentenniveau von derzeit 48 Prozent wiederum verleitet zu der irrigen Annahme, dass die spätere Rente nur noch weniger als die Hälfte des letzten Lohns ausmachen wird. Dabei ist das Rentenniveau lediglich ein statistisches Konstrukt, welches einen immer durchschnittlich verdienenden Beschäftigten mit 45 Beitragsjahren zum Maßstab nimmt. Einen solchen Beschäftigten gibt es aber praktisch nicht. Es wird darüber oder darunter verdient und das nicht kontinuierlich wie im Modellfall, weshalb am Ende auch die individuelle Rente höher oder niedriger ausfällt.

Eine weitere fragwürdige Prämisse in der Armutsdebatte ist auch, dass scheinbar nur die gesetzliche Rente ausschlaggebend für den Lebensabend ist. Dabei trägt sie bezogen auf alle Rentner nur zu weniger als zwei Drittel der Alterseinkünfte bei. Hinzu kommen häufig Betriebsrenten oder private Vorsorgeleistungen. Gleichwohl gilt: Für viele Ruheständler werden die gesetzlichen Altersbezüge auch in Zukunft die zentrale Einkommensquelle bleiben. Aber Schwarzmalerei ist unangebracht. Mit der frühzeitigen Entscheidung, das reguläre Renteneintrittsalter in kleinen Schritten auf 67 Jahre zu erhöhen, hat die Bundespolitik auf die Herausforderungen einer älter werdenden Gesellschaft angemessen reagiert. Und ausweislich der aktuellen Bertelsmann-Studie stößt dieser Weg auch zunehmend auf Akzeptanz.

Um den Trend zu fördern, braucht es neue Arbeitskonzepte für ältere Beschäftigte. Breit angelegte Umschulungen für weniger belastende Tätigkeiten wären eine Möglichkeit. Und vielleicht wird man wegen des technischen Fortschritts irgendwann doch noch Sozialbeiträge auf Computer oder Roboter erheben müssen, weil sie den Menschen bei der Wertschöpfung zunehmend ersetzen. Oder auf Aktieneinkünfte. Panik und Alarmismus sind jedenfalls schlechte Ratgeber, um solche Herausforderungen zu meistern.


nachrichten.red@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort