Ein Schritt in die Normalität

Dieses Urteil wird Geschichte schreiben. 1,3 Millionen Beschäftigte der beiden großen christlichen Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas erhalten unter bestimmten Bedingungen ein Streikrecht.

Die Richter folgten damit in Teilen der Argumentation der Gewerkschaften. Insbesondere Caritas und Diakonie sind in vielen Bereichen längst zu normalen Arbeitgebern geworden, die sich mehr von betriebswirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen als von christlicher Nächstenliebe zu ihrer Belegschaft. Nach Ansicht der Gewerkschaften hat das dazu geführt, dass die kirchlichen Wohlfahrtsverbände ihre Mitarbeiter oft schlechter bezahlen als ihre Kollegen im öffentlichen Dienst. Das macht sich besonders für langjährig Beschäftigte bemerkbar. Außerdem setzen die kirchlichen Betriebe zunehmend auf Ausgründungen. Das ist das Ergebnis einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, bei der 299 Mitarbeitervertretungen diakonischer Arbeitgeber befragt wurden. So haben eben diese Träger Leiharbeitsfirmen gegründet, um Lohnkosten zu sparen. Die Kirchen nutzen also die eingeschränkten Arbeitnehmerrechte des Dritten Weges, um sich Wettbewerbsvorteile gegenüber sozialwirtschaftlichen Konkurrenten zu verschaffen. Auch das Argument, durch Arbeitskämpfe würde der kirchliche Verkündungsauftrag be-streikt, trägt für die beiden großen Wohlfahrtsverbände nicht mehr. Denn während Ordensleute und Diakonissinnen in den 1950er Jahren noch zwei Drittel aller Beschäftigten in Caritas und Diakonie stellten, sind es heute weniger als ein Prozent. Der Rest, also 99 Prozent, sind ganz normale Arbeitnehmer, von der Putzfrau bis zum Chefarzt. Der Dritte Weg wird angesichts dieser Fakten zu einem Auslaufmodell. Wer sich wie ein normales Wirtschaftsunternehmen verhält, kann künftig keine Sonderbehandlung mehr erwarten. t.zeller@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort