Eine Sache der gesamten Gesellschaft

Die Aufklärung über den sexuellen Kindesmissbrauch ist keine Sache der Kirchen allein, obwohl auch hierzulande das Thema vor sechs Jahren mit den Enthüllungen aus ihrem Bereich begann. Es ist eine Sache der gesamten Gesellschaft.

Sie ist auch keine Aufgabe von Historikern, denn dieser Missbrauch findet täglich neu statt. In den Familien, in Sportvereinen, in Schulen und Einrichtungen der Kinderbetreuung. Die Dunkelziffer beträgt 300 000 Fälle pro Jahr. Geschätzt eine Million Erwachsene leben in Deutschland, die als Kind missbraucht wurden und oft ein Leben lang schweigend unter den Folgen leiden.
Die unabhängige Kommission zur Aufklärung des sexuellen Kindesmissbrauchs, die jetzt ihre Arbeit aufgenommen hat, hat das Potenzial, diesen Wahnsinn zum öffentlichen Thema zu machen. Deutschland geht damit einen bemerkenswerten Weg, so wie es schon bei der Aufarbeitung des Schicksals der Heimkinder einen bemerkenswerten Weg gegangen ist. Über die Parteigrenzen hinweg - und auch mit Unterstützung der Kirchen - gibt es ganz offensichtlich eine große Bereitschaft, verdrängte Missstände in unserer Gesellschaft aufzuarbeiten. Um den Betroffenen eine Stimme zu geben, um verstecktes Leid zu lindern, aber vor allem, um eine Wiederholung für die Zukunft zu verhindern. Längst nicht jedes Land geht mit solchen Themen so offen um.
Der Bundestag hat die Kommission eingesetzt; die Bundesregierung finanziert ihre Arbeit. Schon das zeigt, dass man es ernst meint. Auch Betroffene gehören dem Gremium an, hier soll also nicht nur professoral geforscht werden. Jeder, der einen Beitrag leisten kann, wird gehört werden, vertraulich, wenn er will, oder öffentlich. Ob Opfer, Mitwisser oder sogar Täter. Auch um sie muss es gehen, wenn man präventiv wirklich etwas bewirken will.
Die Kommission wird ein sehr großer Finger in einer sehr bösen Wunde sein. Wenn sie 2017 ihren Zwischenbericht und 2019 ihren Endbericht vorlegt, werden Ausmaß und Formen des Kindesmissbrauchs deutlich werden, es wird noch einmal gewaltige Schlagzeilen geben. Das wird hoffentlich die Gesellschaft insgesamt aufwecken. Die Ärzte und Vereine, damit sie aufmerksamer schauen. Verwandte und Nachbarn, damit sie sensibler sind für das, was vielleicht nur ein Zimmer weiter geschieht. Die staatlichen Körperschaften von den Kommunalverwaltungen bis zum Bund, damit sie die materiellen und rechtlichen Vor aussetzungen schaffen, Kinder besser zu schützen und Betroffene besser zu betreuen.
Vor allem wird diese Kommission sehr vielen Menschen eine Stimme geben und ihnen klarmachen, dass ihr Schicksal kein Einzelfall ist, für den nicht sie sich schämen müssten, sondern andere.

nachrichten.red@volksfreund.de

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