Es zählen nur Interessen

Das große Missverständnis zwischen Deutschland und den USA ist leicht benannt: Es ist die unterschiedliche Auffassung von Freundschaft. Wer in Berlin bislang geglaubt hat, dass die Amerikaner Freunde halt wie Freunde behandeln, nämlich respektvoll und ehrlich, der ist allerdings auch naiv gewesen.

Oder der hat nicht mitbekommen, was Sicherheitskreise schon seit Jahren mehr oder minder öffentlich behaupten: Berlin ist die Metropole der Spione aus aller Welt, weil die Stadt nach wie vor eine Drehtür zwischen Ost und West ist, weil die politische Elite und die deutsche Wirtschaft vermutlich so viel wie noch nie an globalem Einfluss besitzen. Es gibt zudem kein Miteinander von Staaten, das den Prinzipien persönlicher Freundschaft gehorcht. Es gibt nur von Interessen geleitete Politik, wirtschaftlich, militärisch, sicherheitspolitisch. Seitens der USA, Russlands oder Chinas allemal. Deswegen hinkt auch der Hinweis der Kanzlerin, man sei nicht mehr im Kalten Krieg. Als ob es nur zu dieser Zeit Gründe gegeben hätte, sich wechselseitig auszuspähen. Und da sich der Fokus seit Beginn der NSA-Affäre vor einem Jahr immer stärker auf das Thema Spionage gelegt hat, fallen die enttarnten Agenten derzeit von den Berliner Bäumen wie reifes Obst.
Oder aber es wird bekannt, dass die Mitglieder und Mitarbeiter des NSA-Ausschusses offenbar zum Teil abgehört worden sind. Auch das ist nicht verwunderlich: Wer die Dienste ins Visier nimmt, der wird von den Diensten ins Visier genommen. So lautet die Regel. Das ist eine Art Selbsterhaltungstrieb der Geheimen.
In dieser Gemengelage agiert jetzt die deutsche Regierung. Sie ist empört über so viel vermeintlich falsche Freundschaft der USA. Angela Merkel hat das gestern noch mal in einem Interview betont. Die Empörung kommt spät, und sie richtet sich vor allem darauf, dass man selbst als Regierung von den US-Geheimdiensten ausgespäht wird. Das erinnert an Merkels Handy: Vorher war die NSA-Affäre, das millionenfache Abschöpfen der Daten der Bundesbürger durch den US-Geheimdienst, so etwas wie eine Petitesse. Bis klar war, dass das Handy der Kanzlerin abgehört worden war. Da ging ein Aufschrei durch Merkels Mannschaft. Jetzt wurden zwei vermeintliche Spione enttarnt, und prompt der oberste Geheimdienstler der US-Botschaft zur Ausreise aufgefordert. Um das klar zu sagen - diese Maßnahme war richtig. Und die Gegenempörung der Amerikaner, die die Sache lieber dezenter, verschwiegener geklärt hätten, belegt dies.
Doch die Bundesregierung vergisst: Sie hat auch die Aufgabe, die Grundrechte ihrer Bürger zu schützen. Die werden durch die USA nach wie vor verletzt, weil die NSA weiter massenhaft Daten abschöpft. Dies muss endlich wieder in der Debatte eine Rolle spielen. Denn es ist der eigentliche Kern der derzeitigen Spionageskandale.
nachrichten.red@volksfreund.de

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