Fern der Realität

Es entspricht der elementaren Menschenwürde, dass ein im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befindlicher Mensch auch das Recht haben muss, sein Leben zu beenden.

Unbenommen davon bleibt es natürlich auch das Recht eines jeden, aus religiösen und weltanschaulichen Gründen sein Leben bis zur buchstäblich letzten Neige auszukosten. Aber das kann jeder nur für sich entscheiden, nicht anderen vorschreiben.

Gesetzgeber und Gesellschaft müssen sich folglich darauf beschränken, die fraglos vorhandene Gefahr von Kurzschlusshandlungen oder missbräuchlicher Ausnutzung durch Dritte in der sensiblen Phase am Ende eines Lebens zu bekämpfen. Dazu kann auch gehören, dass man jegliche Geschäftemacherei mit dem Tod rechtlich unterbindet.

Soweit wäre der Bundesrats-Entwurf vielleicht konsensfähig. Aber indem er nicht nur die kommerzielle, sondern jede Art organisierter Suizid-Hilfe kriminalisiert, degradiert er die Straffreiheit des Suizids zur leeren Hülle. Wenn eine Gesellschaft ihren Bürgern die Option eröffnet, sich straflos zu töten, muss sie ihnen auch die Möglichkeit geben, sich zu informieren und Beistand zu holen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Es geht nicht um das leichtfertige Preisgeben von Tabus. Die vielen, vor allem älteren Menschen, die sich bange Gedanken um die letzte Phase ihres Lebens machen (und dabei oft ganz anders denken als die Politik), wollen nicht mal eben bequem und schmerzfrei über die Wupper gehen. Sie haben Angst, zum willenlosen Anhängsel einer Apparate-Medizin zu werden, die ihnen ihren Tod enteignet. Wenn unsere Großeltern dem Sterben nahe waren, legten sie sich hin, stellten erst das Essen, am Ende auch das Trinken ein – und durften sterben. Heute würde man sie, wenn sie Pech haben, jahrelang halb bewusstlos an eine Sonde hängen. Und sie könnten nicht mal sicher sein, dass sie ihr eigener Wille davor schützt. Die andere große Angst ist, bei klarem Kopf, aber allein, schlecht betreut und unter qualvollen Schmerzen dahin vegetieren zu müssen.

Wer die Selbsttötung für eine traurige, eigentlich unerträgliche Alternative hält, muss hier ansetzen. Durch eine rechtliche Absicherung des Patientenwillens, durch menschenwürdige Pflegebedingungen und die (auch standesrechtlich geklärte) Option für den Arzt, schmerzlindernde Mittel auch dann einzusetzen, wenn sie das Leben verkürzen. Bedingungen schaffen, damit Menschen nicht in den Suizid-Wunsch getrieben werden: Das wäre allemal sinnvoller als realitätsferne Verbote.

d.lintz@volksfreund.de

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