Ganztagsschule ist kein Allheilmittel

Rheinland-Pfalz ist nicht Sachsen. Trier ist nicht Hamburg. Was banal klingt, ist aber der Grund dafür, warum es zwischen Eifel und Hunsrück und zwischen Mosel und Rhein weniger Schüler gibt, die ganztags zur Schule gehen als etwa in Ostdeutschland oder in Großstädten.

Im Osten hat die Ganztagsschule seit DDR-Zeiten Tradition. Und in Ballungsgebieten ist die Ganztagsbetreuung der Kinder die einzige Chance für beide Eltern, ganztags arbeiten zu gehen. Die Rheinland-Pfälzer sind da eher konservativ. Und das ist nicht negativ gemeint. In vielen Familien geht die Frau halbtags arbeiten und ist mittags, wenn die Schule aus ist, daheim. Oder Oma und Opa wohnen in der Nähe.

Und noch ein anderer, ebenfalls sehr mit der Struktur unseres Bundeslandes zusammenhängender, Grund führt dazu, dass viele Eltern ihre Kinder lieber halbtags zur Schule schicken: Das rege Vereinsleben gerade in den Dörfern. Viele Kinder und Jugendliche kicken im Fußballverein, trainieren im Turnverein oder musizieren im Musikverein. Wenn Schüler aber bis 16 Uhr Unterricht haben, fallen die meisten Freizeitaktivitäten flach, weil sich die Trainings- oder Probenzeiten gerade auf dem Land noch eher an den Kindern orientieren, die nachmittags daheim sind. Ganztagsschule ist hierzulande eben nicht selbstverständlich. Anders als in Ländern wie Frankreich und Belgien, in denen es gar keine Wahl zwischen Halbtags- und Ganztagsunterricht gibt und wo sich dann die Freizeitaktivitäten der Kinder aufs Wochenende konzentrieren.

Die meisten Eltern entscheiden sich nicht aus pädagogischen Gründen für Ganztagsunterricht, sondern aus praktischen Erwägungen, sprich: wegen des Betreuungsbedarfs. Doch mit zunehmendem Alter der Kinder wird dieser Bedarf immer geringer und damit auch der Zuspruch für den Nachmittagsunterricht. Hinzu kommt, dass auf vielen weiterführenden Schulen aufgrund der Fülle des Lehrstoffs ohnehin immer öfter regulär Nachmittagsunterricht stattfindet.

Es ist gut, dass es das Angebot der Ganztagsschulen gibt. Und Rheinland-Pfalz hat sich auch schon früh auf den Weg gemacht, dieses Angebot auszubauen. Daher ist es ungerecht, das Land dafür zu prügeln, weil nur wenige Schüler ganztags zur Schule gehen, wie es die Bertelsmann-Stiftung tut. Ganztagsschulen sind anders, als es die Studie vorgibt, nicht das Allheilmittel für eine bessere Bildung und mehr Chancengleichheit. Was nützt ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen, wenn die Inhalte nicht stimmen, die Lehrer fehlen und die Eltern gar keinen Bedarf dafür haben? b.wientjes@volksfreund.de

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