Gemeinsam sind wir schwach: Zum Flüchtlingsgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs

Wer sich aus dem fünften Stock eines Hauses stürzt, ist lebensmüde. Wer aus dem fünften Stock eines brennenden Hauses springt, will sich retten.

So könnte man die verzweifelte Situation derer beschreiben, die aus Bürgerkriegsregionen wie Syrien oder Irak dem Tod zu entrinnen suchen und dann zu Tausenden von Schleppern auf seeuntüchtigen Booten ihrem Schicksal überlassen werden.
Allein von den 35 000 Bootsflüchtlingen, die sich in den ersten Monaten dieses Jahres übers Mittelmeer nach Europa wagten, sind 1600 ertrunken, 2014 waren es 3500.
Erst vor einem halben Jahr haben die EU-Mitgliedstaaten die Mittel für die Seenotrettung drastisch reduziert, um Menschen von der gefährlichen Seepassage abzuhalten. Ein fataler Denkfehler und zudem der Gipfel der Scheinheiligkeit. Denn die Lebensgefahr in Krisengebieten wird ja nicht kleiner, wenn man das einzige Schlupfloch skrupellosen Menschenhändlern überlässt.
Die Abschottungsversuche Europas konnten den Strom der Auswanderer bisher jedenfalls nicht bremsen und sind auch keine Antwort auf eine humanitäre Katastrophe. Im Gegenteil: Sie haben das Versagen der EU-Staaten, vor deren Toren sich immer mehr und immer größere Bootsdramen abspielen, sichtbar gemacht.
Es ist leicht gesagt, man müsse Krieg, Chaos und Verfolgung in den Herkunftsländern begegnen. Da sind die Möglichkeiten der EU- oder gar der Weltgemeinschaft doch sehr begrenzt.
Und wie lange könnte das dauern? Den Flüchtlingen, die akut bedroht sind, hilft das gar nichts.
Die Regierungschefs haben beim Flüchtlingsgipfel am Donnerstag, der eilig einberufen wurde, weil auch der moralische Druck größer wird, fünf Stunden lang mit allem Tamtam, Schweigeminute und Betroffenheitsmiene gekreißt und eine Maus geboren. Von dem ursprünglich kursierenden Zehn-Punkte-Programm ist gerade mal mehr Geld für die Rettung auf See herausgesprungen. Und auch da ist man sich nicht einig, in welchem Radius man sich überhaupt engagiert. Alles andere ist Makulatur.
Dieses Maßnahmenplänchen auf dem allerkleinsten gemeinsamen Nenner macht einmal mehr deutlich, wie sehr dieses ,,vereinte" Europa von nationalen Interessen geprägt ist und wie wenig man sich um Menschenrechtsfragen schert.
Innenminister Thomas de Maizière rechnet in diesem Jahr mit einer Million Flüchtlingen in die Europäische Union. Das ist für sich betrachtet eine große Zahl. Gemessen an der EU-Gesamtbevölkerung von mehr als 500 Millionen ist eine Million dann gar nicht mehr so gewaltig - vorausgesetzt, alle 28 EU-Mitglieder beteiligten sich an einem Gemeinschaftsprogramm. Bisher haben nur zehn Länder der Union Flüchtlinge aufgenommen. Deutschland die meisten.
CDU-Fraktionschef Volker Kauder äußerte vergangene Woche sogar, dass die Bundesrepublik durchaus noch mehr Einwanderung stemmen könne. Rheinland-Pfalz hat diese Woche das Kontingent verdoppelt.
Natürlich stößt auch Solidarität an ihre Grenzen. Kein Land, keine Staatengemeinschaft kann ungebremste Zuwanderung verantworten. Idealismus ist schnell verbraucht, wenn mal wieder Asylbewerberunterkünfte brennen und Parteien oder Bewegungen Zulauf bekommen, die die Furcht vor ,,Überfremdung" schüren.
Wie viel Migration kann eine Gesellschaft verkraften, aber auch wie viel ist nötig, um die Überalterung der Gesellschaft abzufedern, wann ist der soziale Friede gefährdet? Das sind drängende Gegenwartsfragen, auf die es nicht beliebige Einzelantworten geben kann.
Vielmehr braucht die EU ein für alle verbindliches und zugleich pragmatisches Regelwerk, in dem sie aber endlich einmal beweisen kann, dass ,,das Europa der gemeinsamen Werte" keine Worthülse ist. Gewiss, das wäre eine Herkulesaufgabe. Zurzeit sieht es nicht danach aus, dass die EU-Mitgliedstaaten gewillt sind, sie einträchtig anzupacken.
i.funk@volksfreund.de

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