Gesellschaftliche Zeitbombe

Bisweilen verbirgt sich hinter einer unauffälligen Meldung jede Menge Sprengstoff. So wie bei der aktuellen Studie zur Internet-Nutzung der Deutschen. Danach ist ein Drittel der Erwachsenen "offline", wie es auf neudeutsch heißt.

Während die einen bloggen, twittern, onlineshoppen und immer neue Nutzungsmöglichkeiten entdecken, verharrt ein erschreckend hoher Anteil der Bürgerschaft in der informationstechnologischen Steinzeit.

Wer allzu euphorisch "online first" propagiert, darf nicht aus dem Auge verlieren, dass er jeden dritten Bürger ausschließt. Und das nicht nur kurzfristig. Das betrifft nicht nur spezielle Gruppen wie Frauen über 60. Rechnet man die Studie weiter, ergibt sich, dass fast die Hälfte der Bevölkerung jenseits des 50. Lebensjahrs den Sprung ins Internet-Zeitalter bislang verpasst hat.

Nun braucht eine freie Gesellschaft keine Zwangsbeglückung mit den Errungenschaften neuer Technologien. Und wer etwa jenseits der 70 ist, kann mit Fug und Recht für sich in Anspruch nehmen, sich nicht mehr auf die digitale Kommunikation einstellen zu müssen - obwohl auch viele Menschen im hohen Alter die unglaublichen Möglichkeiten, die im Internet stecken, für sich entdeckt haben.

Wer aber noch 30 Lebensjahre vor sich hat, muss sich darüber im Klaren sein, dass im Jahr 2020 oder 2030 die Teilhabe an vielen gesellschaftlichen Prozessen nur noch online zu haben sein wird. Etliche öffentliche und private Dienstleistungen werden nur noch im Netz angeboten werden, schon aus Kostengründen. Auch der demografische Faktor wird dazu führen, dass man gerade in ländlichen Regionen ohne den Zugang zur digitalen Kommunikation zum Bürger zweiter Klasse degradiert wird - nicht nur im Berufs-, sondern auch im Privatleben. Die neue Klassengesellschaft lässt grüßen.

Wer verhindern will, dass viele Menschen zu Analphabeten der Informationsgesellschaft werden, muss das als Aufgabe der Allgemeinheit begreifen - und zwar jetzt. Da reicht kein gut gemeinter VHS-Kurs für Senioren, da gehören alle Kräfte mit an Bord, in einer breit angelegten Kampagne, die auch solche Bürger für neue Formen interessiert, die den Sinn bislang noch nicht erkennen können. Nicht zuletzt unter Einbeziehung der Hersteller, die bislang immer noch lieber eine neue Anwendung nach der anderen entwickeln, statt einen simplen, anwenderfreundlichen "Volks-Computer" anzubieten, den auch Menschen in Betrieb nehmen können, die keine Informatik in der Schule hatten.

d.lintz@volksfreund.de

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