Die Woche im Blick Die großen Parteien – und ein großer Verlierer

Trier · CDU, CSU und SPD sind sich einig. Sie wollen gemeinsam regieren. Doch ob die große Koalition wirklich neu startet, ist alles andere als sicher. Der Blick auf eine Umbruchphase und personelle Turbulenzen.

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Foto: TV/Friedemann Vetter

Nach monatelangen Annäherungen, Sondierungen und Verhandlungen gibt es seit dieser Woche tatsächlich einen Koalitionsvertrag – und in normalen Zeiten wäre damit alles klar: Die neue Regierung steht.

Aber es ist diesmal komplizierter. Es ist, wenn nicht eine Zeitenwende, dann doch sicher eine Umbruchphase, in der wir uns befinden. Die großen Parteien wissen nicht mehr, wie groß sie wirklich noch sind. Und viele ihrer früher so treuen Anhänger fragen sich, wo die Unterschiede liegen, wenn Union und SPD wieder zur Mitte drängen, wenn der Unterschied zwischen links und rechts  verwischt, wenn es schon wieder darauf hinausläuft, dass Union und SPD gemeinsam regieren werden.

Ganz nebenbei: Eine Fortsetzung der Koalition an sich ist noch nichts Kritikwürdiges. Zusammen besitzen CDU, CSU und SPD eine Mehrheit, zusammen haben sie genügend Wähler hinter sich gebracht. Und es ist nicht verwunderlich, dass diese Parteien, die schon die vergangenen Jahre gemeinsam das Land geführt haben, nicht alles ändern wollen, dass sie tatsächlich zumindest in Teilen für ein „Weiter so“ stehen. Wichtige Themen sind im Koalitionsvertrag zu finden: das Ende des Kooperationsverbots und eine Steigerung der Bildungsausgaben, die Stärkung der Pflege, das Nachdenken über die Zukunft des Gesundheitssystems. Doch dass so vieles im Vertrag steht, ist gleichzeitig ein Problem. Alle Punkte werden angerissen, aber der große Wurf fehlt.

Die Bürger werden entlastet. Doch den Mut, den Solidaritätsbeitrag schnell und für alle abzuschaffen, hat diese Koalition nicht. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sollen sinken. Doch gleichzeitig ist angesichts der Millionengeschenke an anderen Stellen absehbar, dass die Beiträge zur Rentenversicherung in den nächsten Jahren steigen werden. Europa spielt eine große Rolle im Vertrag. Doch wie etwa die Wettbewerbsfähigkeit aller EU-Länder erhöht werden kann, bleibt offen.

Offen ist auch, ob die SPD-Mitglieder den Weg zur großen Koalition frei machen. Das Paradoxe an dieser Situation: Die eigene Parteiführung macht es den Genossen derzeit schwer. Allen voran Martin Schulz – zumindest bis gestern. Er startete mit 100 Prozent Zustimmung. Er bekam nach der Wahlschlappe immer noch über 80 Prozent und versprach, die Neuaufstellung der Partei zu starten. Und dann? Gab er einerseits offen zu, dass er dies nicht schafft. Und wollte sich andererseits – entgegen seiner früheren Aussagen – ein Ministeramt sichern. Es ging nicht mehr darum, ob er als Außenminister geeignet gewesen wäre, es ging hier schlichtweg um die Glaubwürdigkeit. Schulz schaffte es, mit seinem Verhalten den Gegnern der Koalition weiter Aufwind zu verschaffen. Er schaffte es, dass die Erfolge der SPD etwa bei der Verteilung der Ressorts in den Hintergrund rücken. Und er schaffte es, dass ein Erfolg der Groko-Gegner beim Mitgliederentscheid wahrscheinlicher wurde.

Gestern dann die Kehrtwende der Kehrtwende: Schulz will nicht mehr Minister werden. Offiziell: Weil er den Erfolg des Entscheids gefährdet sieht. Inoffiziell und glaubwürdiger: Weil ihn die SPD-Führung dazu gedrängt hatte. Vom Hoffnungsträger zur größten Belastung seiner Partei – Schulz hat in einem Jahr erlebt, wie schnell es in der Politik nach unten gehen kann. Und sein Vorgänger, der einst von sich aus auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur verzichtet hatte? Der hatte zuvor Schulz über ein Interview attackiert. Sigmar Gabriel war zum letzten Angriff übergegangen, sprach von Respektlosigkeit und Wortbruch. Er brachte seine Tochter ins Spiel. Sie habe ihm gesagt, es sei doch besser, mehr Zeit für die Familie zu haben als für den „Mann mit den Haaren im Gesicht“. Wer Gabriel kennt, ist nicht überrascht über solche Attacken. Er ist aufbrausend und nachtragend, selbst Parteifreunde fürchten die Ausbrüche des Niedersachsen. Ob Gabriels Angriff knapp unterhalb der Anstandsgrenze nun zum Schulz-Rückzug führte, das ist nicht belegt. Dass es gestern für Gabriel aber sogar Verständnis gab und keiner sich mit Schulz solidarisch erklärte, zeigt, wie tief Schulz im Ansehen seiner eigenen Partei gefallen ist.

Auch wenn es bei der SPD am offensichtlichsten ist, ein Umbruch ist auch bei den anderen Parteien notwendig. Vielleicht ist es diese Ungewissheit, die die neue Koalition zur Einigung getrieben hat. Die CSU hat die Landtagswahl in Bayern im Visier und muss bis zum Herbst alleine deswegen die Wunden des Machtkampfes zwischen Horst Seehofer und dem designierten Ministerpräsidenten Markus Söder versorgen. Es ist offensichtlich: Eine neue große Koalition mit Seehofer an der Spitze eines noch aufgewerteten Innenministeriums käme dafür gerade recht.

Und die CDU? Die Partei jammert leise, aber doch vernehmbar über die Zugeständnisse, die Angela Merkel machte, um die Sozialdemokraten zu überzeugen. Und sie weiß gleichzeitig, dass sie derzeit niemanden hat, der bei Neuwahlen für Aufbruchstimmung sorgen könnte.

So hofft auch die Union nun vor allem auf eines: das Ja der SPD-Mitglieder, das ihr für den Umbruch zumindest etwas mehr Zeit verschaffen würde.

t.roth@volksfreund.de

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