Herz statt Hartz

Hartz IV ist vielen Bürgern eine Chiffre für den sozialen Niedergang im Land. Hartz IV steht aber auch für den Abstieg einer Partei, die jene größte Arbeitsmarktreform in der deutschen Nachkriegsgeschichte zu verantworten hat.

Soziale Gerechtigkeit wurde bei der SPD mehr als ein Jahrhundert lang ausschließlich mit Verteilungsgerechtigkeit übersetzt. Als die Verteilung an ihre materiellen Grenzen stieß, zwang Gerhard Schröder die SPD abrupt zum Umsteuern. Daran leiden die Genossen bis heute.

Umso mehr dürfte es ihnen gefallen, dass die neue Führung nun deutlich zurückgerudert ist: weniger Hartz, stattdessen mehr Herz für die Arbeitnehmer. So liest sich der jüngste Präsidiumsbeschluss der Partei.

Wie schwer die SPD an der Schröder-Vergangenheit trägt, zeigt sich schon daran, dass der amtierende Vorsitzende Sigmar Gabriel bei aller wortreichen Erläuterung der neuen Linie den Begriff "Hartz" nicht ein einziges Mal in den Mund nahm. Die Partei würde ihn am liebsten ganz aus dem Sprachgebrauch streichen.

Allerdings dürften sich die Menschen von der Kurskorrektur erst einmal wenig beeindruckt zeigen. Die SPD sitzt schließlich auf den harten Bänken der Opposition. Dort lassen sich wohlfeile Positionen immer leichter formulieren, weil ihnen der Praxistest erspart bleibt.

Und doch bewegen sich die Parteioberen auf einem schmalen politischen Grat. Wenn zum Beispiel Frank-Walter Steinmeier so tut, als handele es sich nur um kosmetische Änderungen, dann spricht daraus die Sorge um seine schleichende Selbstdemontage. Als Kanzleramtschef unter Schröder zählte Steinmeier zu den maßgeblichen Architekten der Reform-Politik. Heute ist Steinmeier Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Von einer Stärkung seiner dortigen Position kann nach dem arbeitsmarktpolitischen Kursschwenk keine Rede sein.

Die Umtriebigkeit der politischen Konkurrenz kommt erschwerend hinzu. Dass die Linkspartei Hartz IV schon immer in vollem Umfang entsorgen wollte, ist kein Geheimnis. Dass aber ausgerechnet die schwarz-gelbe Bundesregierung in einer ihrer ersten Entscheidungen die rigiden Bestimmungen zum Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger nachbesserte, bleibt für die Genossen ein moralischer Tiefschlag. Ihre Führung zieht daraus nun den Schluss, gleich alle Ersparnisse von älteren Langzeitarbeitslosen für die Rente zu garantieren. Damit wird die politische Abgrenzung zu den anderen Parteien zu einem fragwürdigen Überbietungswettbewerb.

Die SPD steckt in dem Dilemma, politischen Ballast abwerfen zu müssen, dies aber nicht übertreiben zu dürfen, weil es dann wie eine Flucht vor der eigenen Vergangenheit aussieht.

Es wird noch lange dauern, bis ihre Wähler wieder Vertrauen fassen.

nachrichten.red@volksfreund.de

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