Im Kriechgang

Eindrucksvoll gebrüllt haben sie ja alle vor der Sitzung des Koalitionsausschusses: die bayerischen Löwen wegen des freistaatlichen Wahlkampfs noch einmal etwas lauter als die von CDU und SPD. Wenn es ums Keilen geht, ist die Große Koalition eben besonders lebendig.

Ansonsten bewegt sich das Bündnis im Kriechgang: Strukturentscheidungen werden zwar noch ansatzweise getroffen, aber an die damit verbundenen, wichtigen Detailfragen wagen sich die Koalitionäre nicht mehr heran. Es wird vertagt, verschoben, es werden Arbeitsgruppen gegründet. So hangelt man sich auf Sparflamme bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr.

Die Koalition lebt ein bizarres Doppelleben. Vor allem, seit die SPD Gesine Schwan als Bundespräsidenten-Kandidatin aufgestellt hat und bei der Diätenerhöhung eingeknickt ist und seit auf der anderen Seite die Union vom Ziel der Haushaltskonsolidierung zunehmend abrückt. Nach außen werden die wechselseitigen Animositäten immer heftiger ausgetragen, ohne Rücksicht darauf, dass die Partner den Verdruss der Bürger im gleichen Maße steigern. Und übrigens damit auch die kleinen Parteien an den Rändern stärken, vor allem die Linke. Intern räumen die Protagonisten dann die verbalen Scharmützel so fix ab, dass selbst erfahrenen Beobachtern schwindelig wird.

Ja, bitteschön, warum denn dann das maßlose Getöse? Die Antwort darauf kann nur sein: Mit jedem Tag näher zu den Wahlen stellen die Koalitionäre taktische Komponenten in den Vordergrund, inhaltliche schieben sie zurück. Die Nervosität wächst. Bei der SPD über die anhaltend katastrophalen Umfragewerte und den führungsschwachen Vorsitzenden, bei der Union über das fehlende Profil und das Dümpeln im Umfrage-Niemandsland.

Deshalb wird mit wachsender Leidenschaft geholzt, deshalb ist das Bündnis auch nur noch zu mageren Ergebnissen fähig. So ist die Kindergelderhöhung kein Erfolg, sondern die Koalition hätte sich einer Erhöhung in der Folge des Existenzminimumberichts im Herbst wohl gar nicht verweigern können; so hinterlässt die Einigung bei der Neugestaltung der KFZ-Steuer mehr Frage- als Ausrufezeichen; und bei den wirklich wichtigen Themen wie Mindestlohn und Erbschaftssteuer gibt es lediglich Annäherungen auf dem kleinsten gemeinsamen Grundsatz-Nenner. Viel Luft für Streit ist nach der Sitzung des Koalitionsausschusses geblieben. Auch wenn es im politischen Berlin wohl niemanden mehr gibt, der der Koalition eine Träne nachweint, sie wird durchhalten bis zur nächsten Bundestagswahl 2009. Sie muss sogar: Wer aussteigt, wird vom Wähler bestraft. Das ist eine historische Lehre. Ein vorzeitiges Scheitern würde die Lage überdies noch komplizierter machen, weil die Wahrscheinlichkeit einer Neuauflage der Zwangsehe von Union und SPD oder eines Dreierbündnisses derzeit groß ist. Also wird sich die Koalition weiter durch verbale Kraftmeiereien und durch Klein-Klein auszeichnen, jeweils in der Hoffnung, durch den Wahlkampf die Karten neu mischen zu können.

CDU, SPD und CSU sind schon lange keine Regierungspartner mehr, sondern nur noch politische Gegner. Das steht jedenfalls fest.

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