Julia Klöckners Gespür fürs Timing

Der Vorschlag der rheinland-pfälzischen CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner wirkt wie die Quadratur des Kreises: Transitzonen eingeführt, aber anders genannt. Das Wort Obergrenze vermieden.

Merkel nicht in den Rücken gefallen, aber Jubel von den Merkel-Kritikern. Nicht vom "Plan B" gesprochen, sondern von "A2".

Vor allem eins muss man der 43-Jährigen bescheinigen: Gespür fürs Timing. Keiner aus der Union, auch die Kanzlerin nicht, wird einer widersprechen, die gerade im Wahlkampf steht. Und verunsicherte Bürger werden es goutieren, wenn da jemand endlich einen Lösungsweg gefunden zu haben scheint. Julia Klöckner hat eben auch ein großes Gespür für das, was die Leute hören wollen.

Nur ist das alles eine Scheinlösung. Es gibt nämlich nach wie vor keine Obergrenze beim Asyl, jedenfalls nicht, so lange man das Grundgesetz nicht ändert. Was man einzig machen kann, ist, die Bewerber nach dem Dublin-Abkommen wieder in die Länder zurückzuschicken, durch die sie einreisen. Nur hätte man dann sofort genau jene Chaotisierung Europas, die Merkel vermeiden will. Geschlossene Binnengrenzen und menschliches Elend inklusive. Das vorgeschlagene Kontingent von Flüchtlingen, das direkt aus der Türkei nach Deutschland fliegen kann, ändert daran wenig. Alle nicht Ausgewählten werden es weiter über die Balkanroute versuchen.

Auch Klöckners Vorschlag, in großen Zentren an der deutschen Grenze diejenigen auszusortieren, die aus einem sicheren Herkunftsland kommen, hat einen Haken: Solche Transitzonen hat die Koalition erst vor drei Monaten verworfen. Denn daraus werden schnell Massenlager. Die Regierung will stattdessen eine Handvoll regionaler Registrierzentralen schaffen und vorn dort aus abschieben. Wieso sie das jetzt schon wieder infrage stellt, bleibt das Geheimnis einer stellvertretenden CDU-Vorsitzenden, die vor kurzem noch geraten hatte, alle in ihrer Partei sollten "einfach mal die Klappe halten".

Freilich, man könnte auf Klöckners (und Seehofers) Idee der Transitzonen doch noch eines Tages zurückkommen: wenn der Zustrom abgeebbt ist. Dann ist so etwas umsetzbar. Wie überhaupt die ganze Klöckner-Idee human und ohne Beschädigung Europas nur funktioniert, wenn vorher die Merkel-Idee Erfolg hat, Plan A. Wenn es also an den Ursprungsorten, vor allem in der Türkei, gelingt, den Strom zu verringern. Und wenn die Ankommenden in Griechenland oder Italien registriert und von dort europaweit weiterverteilt werden. Dann stehen wirklich so wenig an den bayerisch-österreichischen Übergängen, dass man "tagesaktuelle" Höchstgrenzen für Deutschland je nach Aufnahmekapazität der Kommunen formulieren kann.

Nur: Dann sind diese Ideen nicht mehr nötig. Also, was sollen sie, außer Obergrenzen verkappt zu verkaufen?
Wahlkampf.

nachrichten.red@volksfreund.de

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