Keine echte Zeitenwende

Gestern ist in Luxemburg eine Ära zu Ende gegangen. 18 Jahre Juncker. Niemand konnte sich das Großherzogtum ohne JCJ, wie Jean-Claude Juncker genannt wird, vorstellen.

Auch am Wahlabend sah der am kommenden Montag 59 Jahre alt werdende Politiker wie der Sieger aus. Prozentual gesehen war er es auch. Seine CSV heimste mit einem Anteil von einem Drittel die meisten Stimmen ein. Doch zum Alleinregieren reichte es nicht. Allerdings fand sich kein Koalitionspartner. Die Sozialisten, die bisher die Regierung mit den Konservativen gebildet hatten, konnten nicht mehr, nachdem sie in der Geheimdienstaffäre ein Misstrauensvotum gegen Juncker gestellt hatten. Und die Liberalen wollten nicht. Ihr ehrgeiziger Parteichef und bisheriger Luxemburger Bürgermeister Xavier Bettel wollte selbst an die Macht, nicht unter Juncker mitregieren. Dafür brauchte er neben den Sozialisten noch einen Partner. Den fand er in den seit Jahren nach Regierungsverantwortung gierenden Grünen, die in Luxemburg eher realpolitisch und im Vergleich zu den deutschen Parteifreunden eher konservativ sind. Die Gambia-Koalition war geboren. Und seit gestern regiert das blau-rot-grüne Bündnis das Nachbarland.
Bettel und seine vergleichsweise junge Regierungsmannschaft werden für frischen Wind sorgen. Unter Juncker, der letztlich an der Affäre um die Eskapaden und das Eigenleben seines Geheimdienstes gescheitert ist, herrschte in den vergangenen Jahren mehr oder weniger politischer Stillstand. Echte Reformen wurden nicht angegangen.
Ob das unter Gambia anders wird, muss sich erst noch zeigen. Zwar zeigt sich ansatzweise, dass die neue Regierung für eine andere politische Kultur steht: Es soll Bürgerentscheide geben, das Abtreibungs- und das Scheidungsrecht sollen reformiert werden und - das hat in den vergangenen Tagen für den meisten Streit in Luxemburg gesorgt - die Kirchen, allen voran die katholische, sollen nicht mehr so privilegiert sein und weniger Geld vom Staat erhalten. Das sind sicherlich ehrgeizige Projekte. Und die Trennung von Staat und Kirche in einem Land wie Luxemburg, wo 80 Prozent der Einheimischen katholisch sind, zu thematisieren, ist sicherlich mutig. Auch richtig. Doch drückt sich das Dreierbündnis zumindest in seinem Koalitionsvertrag noch um klare Aussagen, wie man das Haushaltsdefizit von 1,5 Milliarden tatsächlich in den Griff bekommen will. Es fehlt an konkreten Maßnahmen. Und an Ehrlichkeit. Es wäre besser, den Bürgern im Nachbarland klipp und klar zu sagen: Wir können uns einen Wohlfahrtstaat wie bisher nicht mehr leisten. Alle müssen Opfer bringen, es wird weniger Geld geben, die Steuern werden steigen. Das wäre eine tatsächliche Zeitenwende in Luxemburg gewesen.
b.wientjes@volksfreund.de

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