Keine Marx-Kopie

Die katholische Kirche ist immer noch für Überraschungen gut. Denn nach 14 Monaten bischofsloser Zeit in Trier hatte ernsthaft niemand mehr damit gerechnet, dass der Name des neuen Bischofs Stephan Ackermann noch vor Ostern verkündet werden würde.

Daneben gab es Befürchtungen, dass nach den jüngsten, umstrittenen Personalentscheidungen des Vatikans sich nun womöglich auch Deutschlands ältestes Bistum warm anziehen und auf einen erzkonservativen Geistlichen einstellen müsse. Dieses Schreckensszenario ist Gott sei dank nicht eingetreten. Stephan Ackermann ist zwar kein liberaler Kirchenmann, wie etwa sein Vorvorgänger Hermann Josef Spital es war. Aber andererseits ist der neue Benjamin unter den 27 Diözesanbischöfen im deutschen Episkopat auch weit davon entfernt, als Rechtsaußen auf den Platz zu laufen. "Es ist schwer, Stephan Ackermann in eine Schublade einzuordnen", sagen selbst Leute, die ihn gut kennen, "aber er weiß, was wesentlich ist." Schöne Vorschusslorbeeren für den neuen Bischof. Bei Stephan Ackermann kommt hinzu, dass er auf Menschen zugehen und sie für sich gewinnen kann. Berührungsängste sind nicht die Sache des gebürtigen Eifelers, das hat Ackermann in den letzten Jahren immer wieder unter Beweis gestellt. Er hat Charisma, ist ein guter Rhetoriker und versierter Theologe - alles wichtige Punkte, wenn jemand in die großen Fußstapfen von Reinhard Marx treten muss. Dass Stephan Ackermann vor dieser Nachfolge zwar Respekt, aber keine Angst hat, spricht für ihn. Außerdem: Die Gläubigen im Trierer Bistum wollen schließlich keine Marx-Kopie, sondern einen Original-Ackermann.

Dass der erst vor drei Jahren zum Trierer Weihbischof ernannte Priester die katholische Karriereleiter weiter nach oben klettern würde, war für Kenner längst ausgemachte Sache. Stephan Ackermann sei prädestiniert für dieses Amt, hatte auch Diözesan-Administrator Robert Brahm vor einem Jahr gesagt und damit wohl vielen der 14 Domkapitulare aus der Seele gesprochen. Sie haben einen aus ihren Reihen auf die Vorschlagsliste geschrieben. Und der Name stand auch noch darauf, als die Liste jetzt aus Rom zurückkam. Stephan Ackermann ist also auch der Wunsch-Bischof des Klerus. Einen Nachteil hat seine Ernennung allerdings: Wenn er Ende Mai eingeführt wird, ist einer von drei Trierer Weihbischofsstühlen vakant. Vielleicht ist der ja wenigstens schneller wieder besetzt.

r.seydewitz@volksfreund.de

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