Koalition ohne Schienbeintritte

Nimmt man die ersten 100 Tage der amtierenden Bundesregierung zum Vergleich, dann arbeitet die rot-grüne Koalition in Mainz geradezu reibungslos. Keine Profilneurosen, keine Schienbeintritte unter dem Tisch, keine Sticheleien zu Lasten des Partners.

Man ist nett zueinander, und das wirkt sogar authentisch - keine mühsam aufrechterhaltene Fassade.
Das hat sicher mit einem Koalitionsvertrag zu tun, der nicht von Ideologie, sondern von Vernunft und Interessenausgleich geprägt ist. Ausbau der Verkehrsinfrastruktur? Ja, aber nicht überall und zu jedem Preis. Sparen, auch da, wo es an altgewohnte Strukturen geht? Da hat man immerhin einen Einstieg gewagt, ordentlich Prügel bezogen, bekundet aber, weitermachen zu wollen. Investieren, wo es am nötigsten ist? Das Land setzt in der Bildungspolitik weiter Akzente. Nürburgring? Kein panischer Ausstieg, aber Rückzug auf Raten.
Echte inhaltliche Alternativen jenseits von handelsüblicher Oppositions-Show lassen sich da schwerlich finden. Jedenfalls, wenn Becks Truppe tatsächlich umsetzt, was sie angekündigt hat. Der Sparhaushalt 2012 könnte eine Nagelprobe für den Mut und die Durchsetzungskraft von Rot-Grün werden. Die OLG-Diskussion in Koblenz hat gezeigt, welchen Widerstandsgeist das Kratzen am Status quo wecken kann. Und man wird an vielem kratzen müssen.
Zum schwierigsten Hindernis könnte dabei insbesondere für den größeren Koalitionspartner werden, dass man es nicht mehr gewohnt ist, Politik auch zu vermitteln. Jahrelang hat die SPD durchregiert, verwöhnt von einer mäßigen Opposition, gesichert durch die eigene Machtfülle. Und wenn es dann noch Probleme gab, reichten die Autorität und das Ansehen von Kurt Beck, sie einfach als nicht existent zu definieren.
Diese Zeiten sind vorbei. Das hat damit zu tun, dass selbst das stärkste politische Monument irgendwann Abnutzungserscheinungen zeigt. Man merkt das am Umgang mit einer kecken Her-ausforderin, der souverän wirken soll, aber selbstgerecht rüberkommt. Oder am Beleidigtsein, wenn das Volk seinen Landesvater mal mit - fraglos dümmlichen - Pfiffen empfängt. Mit noch so großen Verdiensten der Vergangenheit lässt sich allein keine Politik gestalten.
Für einen Abgesang auf die Ära Beck ist es freilich zu früh. Niemand könnte die strapaziöse Haushaltssanierung eher schultern als er. Wenn er es denn noch einmal schafft, zu erklären statt mitzuteilen. Zu werben statt zu erwarten, dass alle parieren. Zu kämpfen statt verschnupft zu sein. Wie früher.
d.lintz@volksfreund.de

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