Meinung Kramp-Karrenbauer muss die CDU zusammenführen

Es war ein wirklicher Wahlkampf, unterhaltsam und spannend bis zum Schluss bei der CDU. 517 Stimmen für Annegret Kramp-Karrenbauer, 482 für Friedrich Merz. Knapp entschieden sich die Delegierten für die bisherige Generalsekretärin, die es gestern schaffte, die Unentschlossenen auf ihre Seite zu bringen.

Mit einem kämpferischen Auftritt, mit mehr Emotionen, stach sie Merz aus, der am Freitag scharf analysierte, dem aber ein wenig der mutige Blick nach vorne fehlte.

Die Saarländerin hat in den vergangenen Monaten viel riskiert. Sie gab den Posten als Ministerpräsidentin auf, sie reiste auf ihrer Zuhörtour durch Deutschland, sie begann bereits, die CDU umzubauen, setzte eigene Akzente. Und es ist ganz sicher: Dieser Vorsprung war entscheidend. Kramp-Karrenbauer sicherte sich nicht ab. Sie kündigte vor dem Parteitag an, sich bei einer Niederlage als Generalsekretärin zurückzuziehen. Sie zeigte damit, wie wichtig ihr diese Wahl war und ist nun die große Gewinnerin.

Friedrich Merz hat sich nicht durchgesetzt, mit mehr als 48 Prozent der Stimmen ist er dennoch kein Verlierer. Der Mann, der aus dem politischen Abseits zurückkehrte, hat diesen Wahlkampf spannend gemacht. Er hat es geschafft, dass wirtschaftspolitische Themen wieder diskutiert werden. Er hat gezeigt, dass die Union immer noch eine konservative Seite hat. Und er hat gezeigt, dass die Union nicht nur eine One-Woman-Show ist.

Und Jens Spahn? Ist ebenfalls ein Gewinner. 15,7 Prozent stimmten für den Außenseiter im ersten Wahldurchgang. Spahn ist 38, er ist Minister, und er hat sich erkennbar in Stellung gebracht. Er steht bereit, wenn die CDU sich weiter verändert.

Schon vor Freitag stand ein weiterer Gewinner im Kampf um den Parteivorsitz fest: die CDU. Die Partei bewies, dass sie lebendiger ist, als es ihr viele zugetraut haben. Sie hat sich selbst überrascht. Und das, obwohl Wahlen und damit der Wechsel in einer Demokratie doch etwas absolut Normales sind. Um es klarzustellen: Die CDU-Delegierten haben in den vergangenen Jahren keineswegs undemokratisch agiert. Sie setzten auf Verlässlichkeit. Sie setzten auf Stabilität. Sie setzten stets auf Angela Merkel. Das war nachvollziehbar, sorgte aber für Langeweile und Frustration bei allen, die nicht mit Merkel klarkamen, die mit neuen Ideen nicht an die Spitze, nicht einmal in deren Nähe kamen. Merkel gab vor, sie steuerte die Parteiführung – Kanzlerwahlverein CDU, dieses Bild setzte sich immer stärker fest.

Merkel bekam gestern vielleicht zum ersten Mal den ehrlichen Applaus der ganzen Partei. Die Frau, die so nüchtern, aber doch stets gut kalkulierend agierte. Die Frau, die der Partei vieles zumutete und sie doch damit öffnete – sie reizte manchen typischen CDU-Stammwähler (männlich, konservativ, katholisch) und machte ihre Partei über viele Jahre hinweg, zugegeben auch dank der Schwäche der SPD, zur entscheidenden Volkspartei.

Seit 2015 schaffte es Merkel aber immer weniger, die eigene Partei zusammenzuhalten. Die Flüchtlingspolitik war der Auslöser einer Debatte, die sich über Jahre entwickelte – und in der es immer öfter darum ging, ob Merkel die richtige an der Spitze ist. Nun hat sie, gerade noch rechtzeitig, selbst den Rückzug angetreten. So gab es in Hamburg langen Applaus für Merkel und eine wirklich gerührte scheidende Parteichefin zu sehen, die mit der Wahl von Kramp-Karrenbauer doch als Kanzlerin gestärkt ist.

Ihre Nachfolgerin in der Partei hat viele Aufgaben: Die vielleicht schwierigste ist es, die CDU so lebendig zu halten, wie sie es in den vergangenen Wochen war. Nicht weniger, sondern mehr Diskussionen müssen das Ziel sein – warum nicht alle Parteimitglieder über den Parteivorsitz abstimmen lassen? Zudem muss die neue Chefin die Partei einen und alle Flügel an Bord behalten. Kramp-Karrenbauer ist thematisch – auch wenn sie dies anders verkauft – in vielen Punkten nicht weit von Merz entfernt. Die Diskussion über eine Dienstpflicht hat sie entfacht – und dafür von Merz und Spahn Lob bekommen.

Meinung: Kramp-Karrenbauer muss die CDU zusammenführen
Foto: TV/Friedemann Vetter

Die für den weiteren Erfolg der CDU entscheidenden Bilder gab es einige Minuten nach der Wahl. Die neue Parteichefin applaudierte Merz – und dieser bat seine Wähler, sie zu unterstützen. Kramp-Karrenbauer ließ ihre Konkurrenten nach vorne kommen. Merz, Spahn und die neue CDU-Chefin: Wenn dies nicht ein Abschiedsfoto war, sondern für die künftige Arbeit in der Partei steht, kann die oft unterschätzte Saarländerin etwas schaffen, was Merkel nicht mehr gelang: die Partei erreichen und die Flügel einen – nicht nur um des Erfolges willen, sondern weil sie bewusst andere Meinungen zulässt.

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