Kultur des Misstrauens

Deutschland, deine Unternehmen. Lidl bespitzelt seine Mitarbeiter sogar noch auf der Toilette, die Telekom lässt Führungskräfte und Prominente überwachen, vom laschen Umgang mit jedermanns Daten ganz zu schweigen; und die Bahn hat keinerlei Problem damit, mal eben 173 000 Angestellte unter den Generalverdacht der Korruption zu stellen.

Vor wem muss man sich inzwischen eigentlich mehr fürchten: vor dem politischen Schnüffelstaat, den die Kritiker von Innenminister Wolfgang Schäuble nahen sehen? Oder vor Deutschlands Großkonzernen, vor Herrn Obermann und Herrn Mehdorn? Die Antwort fällt derzeit weiß Gott nicht schwer.

Vermutlich ist das alles nur die Spitze des Eisbergs, was in den letzten Tagen und Wochen schon ans Licht gekommen ist. Man fragt sich, mit welchem Selbstverständnis Unternehmen eigentlich mit ihren Mitarbeitern und Kunden umgehen. Wer schnüffeln lässt ohne rechtliche Grundlage, ohne Maß, hat jedenfalls nicht verstanden, dass wirtschaftlicher Erfolg auch etwas mit Vertrauen zu tun hat. Der offenbart, dass sich inzwischen in den Führungsetagen einiger Konzerne eine Kultur des Misstrauens gegen alles und jeden breit gemacht hat.

Die hehre Verpflichtung mancher Vorstände und Aufsichtsräte auf Einhaltung unternehmensethischer Grundsätze ist dadurch schon längst ad absurdum geführt worden. Nicht von allen, aber von vielen. Steuerskandale, enorme Abfindungssummen, überhöhte Gehälter und Stellenabbau trotz steigender Gewinne, jetzt die erneute Spitzelaffäre - Manager haben einiges dafür getan, ihren eigenen Ruf zu ruinieren. Zu abgehoben waren einige Unternehmensstrategien und -philosophien - siehe Schrempp und DaimlerChrysler. Zu unglaublich waren die Milliardensummen, mit denen global jongliert werden konnte - siehe Merckle. Die Folge: Zahlreiche Top-Kräfte haben sich von der Realität weit entfernt. Was zählt ist offenbar nur noch der Glaube an die eigene Allmacht. Sie schütteln dann voller Unverständnis den Kopf, wenn sich die Bevölkerung über Bonuszahlungen oder üppige Abfindungen aufregt.

Was hilft? Das erschütterte Vertrauen in die persönliche Integrität der wirtschaftlichen Eliten lässt sich nur durch verlässliches Handeln und Lassen wiederherstellen, durch Eigenkorrekturen und Selbstbeschränkung.

Gute Unternehmer machen sich immer wieder bewusst, dass man alleine nicht weit kommt; dass das unternehmerische Dasein auch dem Gemeinwohl verpflichtet sein muss und dass Privilegien eher Bescheidenheit denn Überheblichkeit gebieten. Sie machen Fehler, geben diese aber zu und entschuldigen sich dafür. Lidl, die Telekom und andere haben dies getan, bei der Bahn wartet man noch darauf.

nachrichten.red@volksfreund.de

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